Dr. Till Sukopp: Darum eignen sich Kettlebells für die Reha OS Institut
Interview

Dr. Till Sukopp: Darum eignen sich Kettlebells für die Reha

Mit der Kettlebell in der Reha trainieren, klingt auf den erstmal nach keiner guten Idee, vor allem nach Schulterverletzungen. Im Interview verrät Dr. Till Sukopp, warum es doch Sinn macht.
netzathleten.de: Inwieweit bietet sich die Kettlebell als Trainingsgerät gerade auch in der Reha an?
Dr. Till Sukopp: In der orthopädischen und der neurologischen Rehabilitation wird die Kettlebell vor allem eingesetzt, um grundlegende Bewegungsmuster wieder zu erlernen. Und sie ist optimal dazu geeignet, dem Körper beizubringen, sich effizient als Einheit zu bewegen. Das bedeutet: Alle Körperteile arbeiten so zusammen, wie sie sollen und alle Muskeln arbeiten in der richtigen Intensität.

netzathleten.de: Kannst Du ein konkretes Beispiel dafür nennen?
Dr. Till Sukopp: Nehmen wir etwa das Anheben eines Gewichts. Viele Menschen machen das aus dem Rücken, aus den Armen oder aus den Beinen. Eigentlich macht das aber die Gesäßmuskulatur. Mit der Kettlebell kriegt man eine sehr stabile Hüft- und Gesäßmuskulatur, einen sehr stabilen Rumpf und sehr stabile und bewegliche Schultern. Von daher ist die Kettlebell im Reha-Bereich ein sehr geeignetes Mittel, um schnelle Erfolge zu erzielen.

netzathleten.de: Aber man kann auch ohne Gewicht entsprechende Erfolge verbuchen.
Dr. Till Sukopp: Das stimmt. Allerdings muss man dann häufig Übungen durchführen, die sehr viel schwerer zu erlernen sind. Nehmen wir als Beispiel das Schultergelenk und Überkopfübungen. In diesem Fall zieht die Kettlebell die Schulter nach hinten unten, dorthin, wo sie am stabilsten ist. Und da will man die Schulter letztlich haben. Die Kettlebell macht so die Schulter gleichzeitig beweglicher und stabiler. Außerdem liegt die Kettlebell bei vielen Übungen enger am Körper und aufgrund ihrer Form kann man komfortabler mit ihr arbeiten. Und man kann sie gut zwischen den Beinen nach hinten durchschwingen, was mit Kurzhanteln nur bedingt möglich ist und mit Langhanteln gar nicht.

netzathleten.de: Ist die Kettlebell Kurz- und Langhanteln also überlegen?
Dr. Till Sukopp: Das kommt immer drauf an, was man erreichen möchte. Im Bodybuilding beispielsweise sind die Hanteln besser geeignet, da man das Gewicht feiner abstimmen kann. Wir arbeiten bei unseren Trainings inzwischen aber fast nur noch mit der Kettlebell, weil die Übungen sehr vielseitig durchgeführt werden können. Man kann die Schwierigkeit vieler Übungen bei gleichem Gewicht problemlos schwerer oder leichter machen. Man muss also nicht das Gewicht ständig steigern.

netzathleten.de: Bei beziehungsweise nach welchen Verletzungen in der Reha bietet sich das Kettlebell-Training besonders an?
Dr. Till Sukopp: Gerade im Bereich der Schulter konnten wir sehr gute Ergebnisse erzielen. Nach Rupturen der Rotatorenmanschette, beim Impingement-Syndrom oder auch bei Schulterluxationen gilt das vor allem in puncto Stabilisation und Reorganisation aller Strukturen des Gelenks. Außerdem haben wir bei Rückenpatienten im Bereich der Rumpfstabilität und bei der Ausdauer der Rückenmuskeln sehr gute Erfolge erreicht. Genauso wie bei Patienten mit Knie- und Hüftproblemen. Das liegt in erster Linie daran, dass wir grundlegende Bewegungsmuster schulen.

netzathleten.de: In Deinem Vortrag beim 3. Jahrestreffen der OS Coaches hast du gesagt, dass auch Läufer von einem Kettlebell-Training profitieren können. Warum?
Dr. Till Sukopp: Bei Läufern wird vor allem die ganze hintere Muskelgruppe trainiert, die häufig abgeschwächt ist. Das heißt: Gesäßmuskulatur, Hüftmuskulatur, Oberschenkelrückseite. Wir erreichen eine Rumpfstabilität und damit eine andere Haltung des Oberkörpers. Läufer haben häufig eine schlechte Haltung und Probleme im oberen und unteren Rückenbereich. Über die Aktivierung der Hüftmuskeln werden die Knie besser geführt, die Schritte werden explosiver und länger, man läuft leichter und sicherer – und vergeudet weniger Energie. Vor allem eine gute Rumpfstabilität ist beim Laufen wichtig. Läufer, die kein Stabilisationstraining machen – auch ohne Kettlebell – haben sehr häufig Schwierigkeiten. Wir hatten auch verletzte Läufer bei uns im Training, die nur ein Stabilisationstraining gemacht haben und nachher besser laufen konnten als vor der Verletzung. Darüber hinaus kann man mit Kettlebell-Training sehr gut die Ausdauer trainieren, was dem Läufer ebenfalls zugutekommt. Gerade bei Verletzungen oder Überlastungen ist das von Vorteil, da der Patient mit beiden Füßen am Boden bleibt. So wird die Ausdauer trainiert, ohne dass er laufen muss.

netzathleten.de: Bietet sich ein Kettlebell-Training auch für zu Hause an beziehungsweise können auch Reha-Patienten zu Hause trainieren?
Dr. Till Sukopp: Das kommt immer darauf an. Im Idealfall hat man das Training mit der Kettlebell von einem Trainer gelernt. Dann kann man auch praktisch nichts verkehrt machen. Wer ein sehr, sehr gutes Bewegungsgefühl hat, kann vielleicht auch aus einem Buch oder mit Hilfe von Videos die Übungen lernen. Sicherer ist es aber natürlich mit einem Trainer, der sofort und individuell korrigieren kann. Viele Probleme nimmt man selbst auch nicht wahr. Beispielsweise, dass die Schulter nicht unten ist, dass der Rücken krumm ist, dass Po und Bauch nicht richtig angespannt sind. Mit einem Trainer kann man daher seine Leistung in wenigen Sekunden verbessern und natürlich Risiken ausschließen.

netzathleten.de: Welche Risiken gibt es beim Kettlebell-Training?
Dr. Till Sukopp: Die typischen Risiken sind eine falsche Technik, gerade was die Schulter angeht, und falsches Heben – beispielsweise aus dem Rücken heraus. Außerdem werden, auch im Rehabereich, häufig zu geringe Gewichte eingesetzt, wenn es um das Tragen oder Anheben von Gewichten geht. Gerade beim Anheben würde ich raten, dass Frauen mit wenigstens 12 Kilo, Männer mit 16 Kilo beginnen, um die Übung zu erlernen. Ansonsten lernt der Körper nicht, sich selbst reflektorisch zu stabilisieren und eignet sich ein falsches Bewegungsmuster an.

Zum Experten: Dr. Till Sukopp ist Sportwissenschaftler und einer der führenden Kettlebell-Trainer und -Ausbilder im deutschsprachigen Raum. Weitere Infos gibt es unter http://blog.tillsukopp.de/

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