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Die Anzüge machen die Sieger

  • Derk Hoberg
Die Zeiten der Ganzkörperrasur sind endgültig vorbei. Athleten in High Tech-Schwimmanzügen dominieren die Becken, in denen die Schwimmelite ihre Bahnen zieht. Die Materialschlachten rund um die Schwimmanzüge überlagern alle anderen Themen im Schwimmsport. Sogar das Dauerthema Doping gerät in den Hintergrund.

Bei der Deutschen Meisterschaft, Ende Juni in Berlin, fand diese Entwicklung ihren bisherigen Höhepunkt in Deutschland. Die Athleten stellten bei den Wettbewerben drei Welt-, drei Europa- und vierzehn deutsche Rekorde auf und boten damit einen Vorgeschmack auf die Weltmeisterschaften in Rom (17. Juli bis 2. August), bei der die komplette Weltklasse am Start sein wird. Zu erwarten ist eine wahre Rekordflut - die Wertschätzung der Rekorde wird aber insgesamt nachlassen.

Geht der sportliche Aspekt verloren?

Mittlerweile helfen sogar Techniker der NASA mit, immer schnellere Schwimmanzüge herzustellen. Die eigentliche Leistung des Schwimmers gerät durch die modernen Anzüge immer mehr in den Hintergrund. Die Anzüge gleichen technische Schwächen der Athleten aus. Inzwischen genügen fast Kraft und Ausdauer, um Topleistungen zu bringen. Zwar hat der Weltschwimmverband (FINA) im März mit der sogenannten „Dubai Charta“ die Regularien für die Anzüge festgelegt (Material, Dicke, Auftrieb und der Schnitt wurden einheitlich festgeschrieben), dennoch herrscht großer Unmut unter den Aktiven. Für heftige Kritik der deutschen Athleten sorgte kürzlich die Entscheidung der FINA, nun doch fast alle umstrittenen „Wunderanzüge“ für die WM zu genehmigen.

Im nächsten Jahr sollen die Kriterien für die Anzüge dann endgültig geklärt werden. Wie das aussehen wird, weiß bisher noch niemand. Bei der diesjährigen WM wird allerdings soviel Unklarheit herrschen, dass durchaus mit Einsprüchen nach den Rennen zu rechnen ist.

 

Britta Steffen geht eigenen Weg

Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen demonstriert hingegen auf ihre eigene Art gegen die Technisierung des Sports. Sie trägt nur zu besonders wichtigen Wettbewerben die modernen Anzüge. Im Training und in kleineren Wettkämpfen will sie beweisen, dass man auch ohne teures Material schnell sein kann und verzichtet darauf.


Der Deutsche Schwimmverband reagierte ebenfalls auf die rasante Entwicklung und die unklaren Entscheidungen der FINA in den letzten Monaten. Nach der jüngsten Rekordjagd bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin, erlaubt es der Deutsche Schwimmverband (DSV) seinen Athleten nun, ihren Schwimmanzug frei zu wählen. Auf lange Sicht soll aber ein neuer Ausrüster gefunden werden. Nach anhaltender Kritik der Athleten am Material, hatte Adidas seinen Vertrag mit dem DSV im Dezember 2008 gekündigt.


Was bewirken die neuen Schwimmanzüge?

Bereits vor knapp zehn Jahren entwickelten Forscher der Duisburger Universität einen der ersten schnellen Schwimmanzüge. Sie konstruierten ein Oberflächengewebe, das der Haut von Haien ähnlich war. Auf ihrer Haut befinden sich viele Knochenartige Plättchen, die wiederum Längsrillen haben. So bieten sie dem Wasser extrem wenig Widerstand. Die Umsetzung auf die Textilien gelang: Mit diesen Anzügen waren bereits bis zu 1,5 Sekunden schnellere Zeiten auf die 100 Meter Freistil möglich.

Teflon und NASA-Technik im Einsatz

Die heutigen Anzüge zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie kaum noch Wasser aufnehmen. Das wird erreicht, indem Teflon in das in das Gewebe eingearbeitet wird. Zudem arbeiten Strömungsmechaniker und NASA-Techniker daran, den Wasserwiderstand an den Stellen zu minimieren, an denen er am größten ist. Dafür hatte Hersteller Speedo etwa 400 Schwimmer am ganzen Körper vermessen. An diesen Stellen wird in den Anzügen dann ein besonders glattes Gewebe verwendet. Außerdem werden Nähte heutzutage nicht mehr vernäht, sondern mit einer Ultraschalltechnik geschlossen. Das verhindert die Reibung am Körper und reduziert den Wasserwiderstand zusätzlich.


Auch Adidas entwickelt seine Anzüge ständig weiter. Die Anzüge des Weltkonzerns haben eine Kompressionswirkung, die die Körperhaltung verbessert. „Thermoplatische Unrethan Powerbands“ sollen darüber hinaus für einen Extra-Kraftkick sorgen. Diese elastischen Bänder sind über den Anzug verteilt. Sie speichern die Energie und geben sie zurück, wenn der Muskel sich ausdehnt und wieder kontrahiert. Der Effekt: Der Schwimmer ermüdet nicht so schnell und die Leistung der relevanten Muskelgruppen soll gesteigert werden.

Wohin führt der Weg?

Ein Weg zurück zur einfachen Badehose ist schwer vorstellbar. Wo würde die FINA die Grenzen ziehen, zum Beispiel bei den bisher geschwommenen Weltrekorden? Der technischen Entwicklung einen Riegel vorzuschieben stellt ebenfalls ein Problem dar, Lücken im Regularium wird es wohl immer geben ,und die Hersteller sind noch nicht am Ende der Entwicklung angelangt. Sicherlich muss auch der Athlet seine Leistung dazu beitragen, will er Rekorde schwimmen. Ein Vergleich der Ergebnisse und damit der Sportler untereinander rückt aber zusehends in den Hintergrund.


In anderen Sportarten schreitet die technische Entwicklung ebenfalls voran und neue Bestleistungen sind an der Tagesordnung. High Tech gehört zum modernen Sport dazu. Dennoch muss endlich Klarheit herrschen, was beim Thema Neuentwicklungen der Schwimmanzüge erlaubt ist und was nicht. Ansonsten droht dem Schwimmsport die Unglaubwürdigkeit - zudem auch das Thema Doping nach wie vor nicht aus der Welt ist. Wie sehr der Sport darunter leidet, wenn die Ergebnisse nicht mehr nachvollziehbar sind, zeigt das Beispiel Radsport. Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen auf die berechtigte Kritik der Athleten in angemessener Form und im Interesse des Schwimmsports reagieren.

Derk Hoberg

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