Bärbel Mees
Der Weg ist das Ziel
- Bärbel Mees
Bärbel Mees, im normalen Leben Fundraising und Communications Manager bei der Laureus Stiftung, brach in diesem Sommer zu einem ganz besonderen Abenteuer auf: Für netzathleten.de berichtet sie von den beeindruckenden Erfahrungen, die sie auf ihrer 889 Kilometer langen Wanderung entlang des Jakobswegs gemacht hat und warum es sich lohnt, in seinen Körper zu investieren.
Nach 35 Tagen und 889 km bin ich an der spanischen Atlantikküste angekommen: Cape Finesterre, das Ende der Welt. Hier endet mein Weg. Ich kann nicht weiter nach Westen laufen. Das erste Mal in fünf Wochen drehe ich mich um und gehe zurück Richtung Osten.
Den Jakobsweg in Spanien, einer der bekanntesten Pilgerwege der Welt, zu laufen, ist ein einmaliges Erlebnis. Als ich ihn im Juli und August dieses Jahres wanderte, begegnete ich Menschen aus aller Welt. Menschen zwischen 18 und 70 Jahre, zu Fuß, auf dem Rad oder zu Pferd. Ich traf Pilger, die vor vier Monaten zu Fuß in Berlin gestartet sind, Menschen im Rollstuhl, Suchtkranke und Personen, die Angehörige verloren hatten. Manche liefen ihn aus einer religiösen Überzeugung heraus, andere waren auf der Suche nach sich selbst. So wie ich. Einige teilen sich den Weg auf mehrere Jahre auf und laufen jedes Mal ein weiteres Stück – ich aber wollte ihn als Ganzes laufen. Je intensiver desto besser. Es begann als physische Challenge – und, um ehrlich zu sein, auch als günstiger, aber abenteuerlicher Urlaub. Doch es wurde sehr schnell viel mehr als das.
Der Weg lehrte mich so viel über mich selbst und das Leben. Ich lachte und weinte, kämpfte und gewann. Es war die unglaublichste Erfahrung, die ich je im Leben gemacht habe. Ich habe an 35 verschiedenen Orten übernachtet. In Mühlen, Herbergen, auf einer Matte im Dachboden, einer Abtei, einer Kirche, in einem Feld. Bin durch die Nacht gewandert, startete jeden Morgen unter dem Sternenhimmel, erlebte unzählige Sonnenaufgänge, schwamm in Flüssen und hatte alles, was ich zum Leben brauchte, in einem 11 kg-Rucksack auf dem Rücken. Ich hatte zwei Shorts und zwei Shirts dabei, schlief in Räumen mit bis zu 90 anderen Pilgern und traf unglaublich inspirierende Menschen aus der ganzen Welt.
Manche waren fit und mit einer professionellen Ausrüstung unterwegs – und scheiterten. An sich, ihren Erwartungen oder ihrem Körper. Und manche humpelten seit Beginn – und erreichten die Kathedrale in Santiago – das Ziel dieses berühmten Pilgerpfades. Der Jakobsweg hat seine eigenen Gesetze. Motivation und Durchhaltevermögen zählen dort mehr als Talent oder Fitness.
Ich habe ein ganzes Land zu Fuß durchquert – und das ist ein intensives Gefühl. Es war nicht immer einfach, aber es war perfekt. Bis zu meinem Start bin ich noch nie im Leben zwei Tage am Stück gewandert. Bergauf mochte ich auch nicht besonders. Ich hatte noch nicht einmal einen Wanderrucksack. Begeisterte Wanderer, die jedes Wochenende in den Bergen waren, erschienen mir bis dato etwas dubios. Fünf Wanderungen habe ich in meiner „Testphase“ in den Wochen vor dem Jakobsweg absolviert, zwischen 25 und 36 Kilometer. Absolut empfehlenswert, um seine Ausrüstung zu testen. Aber vorbereiten kann man sich auf den Weg nicht. Man muss ihn einfach gehen.
Der Wandervirus packte mich dann bereits auf der ersten Etappe: 28 km von St. Jean Pied de Port, einem verschlafenen kleinen Ort in Frankreich über die Pyrenäen ins spanische Roncesvalles, einem noch verschlafeneren Örtchen. Das Wetter: grauenvoll. Die Sicht: null. In Nieselregen und dichtem Nebel wanderte ich morgens um 6 Uhr los. 1.200 Höhenmeter rauf und fast ebenso viele wieder herunter. Ich weiß bis heute nicht, wann ich eigentlich den Gipfel erreichte, vermutlich zwischen einer Schafherde und einem Käsestand für müde Pilger. Irgendwann ging es einfach wieder runter. Es war hart, aber großartig.
Die ersten Tage stolperte ich am Ende jeder Etappe völlig fertig in die erste Herberge des Zielortes, duschte im Sitzen, um Energie zu sparen und verbrachte den Nachmittag damit, meine Füße zu verarzten, monströse Blasen zu verpflastern, Knöchel zu bandagieren, die Achillessehne mit Schmerzcremes zu massieren und Medikamenten-Nachschub in der Apotheke zu besorgen.
Man lernt schnell: Der Körper ist dein Kapital. Abgesehen davon, dass ich die Sehnen, Bänder, Knochen und Muskeln in meinen unteren Extremitäten nun vermutlich besser kenne als jeder Medizinstudent, wurde mir bewusst, dass es auf jeden Fall wert ist, Zeit, Energie und Geld in einen gesunden und funktionsfähigen Körper zu investieren. Es lohnt sich, sich um sich selbst zu kümmern!
Die ersten neun Tage musste ich die Zähne zusammenbeißen. Ich hatte Schmerzen und konnte mir morgens beim Anziehen meiner Schuhe nicht vorstellen, 25 km auf diesen Füßen zu laufen. Aber bei 40.000 Schritten pro Tag tut es ja auch nur 40.000-mal weh. Und nach ca. 10 km hat man sich an den Schmerz gewöhnt. Dennoch hatte ich Zweifel, ob ich es bis nach Finesterre schaffen würde. Aber aufzugeben oder Etappen mit dem Bus zu fahren, war für mich keine Option.
Und dann ging es plötzlich bergauf: glücklicherweise nur mental. Ich wurde fitter, mein Körper gewöhnte sich an die Strapazen und entwickelte Muskeln, die ich bis dato noch nie hatte. Und ich konnte mich weniger auf Schmerzen als vielmehr auf den Geist konzentrieren und die tägliche Frage: „Warum genaue mache ich das eigentlich?“ Soviel sei gesagt: Urlaub ist das nicht! Um morgens gegen 5.30 Uhr aufzustehen und jeden Tag zwischen 20 und 35 Kilometer zu laufen – und das fünf Wochen lang –, braucht man einen guten Grund.
Als ich nach gut drei Wochen auf einem weiteren Berg (von wegen, nach den Pyrenäen wird es flach…) am Cruz de Ferro ankam, wusste ich, warum ich laufe. An diesem Kreuz legt jeder Pilger einen Stein aus einer Heimat ab – gemeinsam mit seinem persönlichen Ballast. Viele tragen innerlich einen größeren Rucksack mit sich herum als das Gepäck auf dem Rücken. Und jeder, der den Jakobsweg geht, hat einen ganz persönlichen Grund dafür. Selbst, wenn er das am Anfang noch nicht weiß.
Die letzten 57 km nach Santiago bin ich in einem Rutsch durchgelaufen – mit einer kurzen Schlafpause in meinem Schlafsack auf einem Feld unter dem Sternenhimmel, fünf Sternschnuppen inklusive. Gemeinsam mit anderen Pilgern bin ich durch die Nacht gewandert, um den Sonnenaufgang kurz vor Santiago zu erleben. Es ist ein ganz besonderer Moment, dort auf den Platz vor der Kathedrale einzubiegen.
Aber ich hatte schon davor beschlossen, dass der Endpunkt meiner Reise nicht Santiago sein wird, sondern der atlantische Ozean in Finesterre, noch einmal gut 90 km entfernt.
Für mich war das genau die richtige Entscheidung. Die Menschenmassen und Bustouristen in Santiago haben mich nach fünf Wochen in der Natur direkt überrollt. Dagegen war die Ankunft am „Ende der Welt“ mit dem Leuchtturm, den Felsformationen und dem mystischem Nebel perfekt. Dort zu sitzen, ein kühles Bier in der Hand und die Jakobsmuschel, die mich als Zeichen des Pilgerns am Rucksack über die ganze Zeit begleitet hat, ins Meer zu werfen, ist ein wunderbarer Moment. Der perfekte Abschluss einer unglaublichen Reise.
Manchmal war es leicht, manchmal war es hart. Was ich auf dem Weg gelernt habe, ist zu vertrauen. Auf sich und seinen Körper. Und Gelassenheit: Ein Schritt nach dem anderen. Eine Einstellung, die ich auf jeden Fall ins „richtige“ Leben mitnehme.
Bärbel Mees am Kilometer Null - dem letzten Kilometerstein des Jakobswegs (Obwohl der Camino a Fisterra streng genommen nicht zu den Jakobswegen gehört, pilgerte man schon im Mittelalter bis hierher - zum damaligen Ende der Welt)
Den Jakobsweg in Spanien, einer der bekanntesten Pilgerwege der Welt, zu laufen, ist ein einmaliges Erlebnis. Als ich ihn im Juli und August dieses Jahres wanderte, begegnete ich Menschen aus aller Welt. Menschen zwischen 18 und 70 Jahre, zu Fuß, auf dem Rad oder zu Pferd. Ich traf Pilger, die vor vier Monaten zu Fuß in Berlin gestartet sind, Menschen im Rollstuhl, Suchtkranke und Personen, die Angehörige verloren hatten. Manche liefen ihn aus einer religiösen Überzeugung heraus, andere waren auf der Suche nach sich selbst. So wie ich. Einige teilen sich den Weg auf mehrere Jahre auf und laufen jedes Mal ein weiteres Stück – ich aber wollte ihn als Ganzes laufen. Je intensiver desto besser. Es begann als physische Challenge – und, um ehrlich zu sein, auch als günstiger, aber abenteuerlicher Urlaub. Doch es wurde sehr schnell viel mehr als das.
Der Weg lehrte mich so viel über mich selbst und das Leben. Ich lachte und weinte, kämpfte und gewann. Es war die unglaublichste Erfahrung, die ich je im Leben gemacht habe. Ich habe an 35 verschiedenen Orten übernachtet. In Mühlen, Herbergen, auf einer Matte im Dachboden, einer Abtei, einer Kirche, in einem Feld. Bin durch die Nacht gewandert, startete jeden Morgen unter dem Sternenhimmel, erlebte unzählige Sonnenaufgänge, schwamm in Flüssen und hatte alles, was ich zum Leben brauchte, in einem 11 kg-Rucksack auf dem Rücken. Ich hatte zwei Shorts und zwei Shirts dabei, schlief in Räumen mit bis zu 90 anderen Pilgern und traf unglaublich inspirierende Menschen aus der ganzen Welt.
Manche waren fit und mit einer professionellen Ausrüstung unterwegs – und scheiterten. An sich, ihren Erwartungen oder ihrem Körper. Und manche humpelten seit Beginn – und erreichten die Kathedrale in Santiago – das Ziel dieses berühmten Pilgerpfades. Der Jakobsweg hat seine eigenen Gesetze. Motivation und Durchhaltevermögen zählen dort mehr als Talent oder Fitness.
Ich habe ein ganzes Land zu Fuß durchquert – und das ist ein intensives Gefühl. Es war nicht immer einfach, aber es war perfekt. Bis zu meinem Start bin ich noch nie im Leben zwei Tage am Stück gewandert. Bergauf mochte ich auch nicht besonders. Ich hatte noch nicht einmal einen Wanderrucksack. Begeisterte Wanderer, die jedes Wochenende in den Bergen waren, erschienen mir bis dato etwas dubios. Fünf Wanderungen habe ich in meiner „Testphase“ in den Wochen vor dem Jakobsweg absolviert, zwischen 25 und 36 Kilometer. Absolut empfehlenswert, um seine Ausrüstung zu testen. Aber vorbereiten kann man sich auf den Weg nicht. Man muss ihn einfach gehen.
Der Wandervirus packte mich dann bereits auf der ersten Etappe: 28 km von St. Jean Pied de Port, einem verschlafenen kleinen Ort in Frankreich über die Pyrenäen ins spanische Roncesvalles, einem noch verschlafeneren Örtchen. Das Wetter: grauenvoll. Die Sicht: null. In Nieselregen und dichtem Nebel wanderte ich morgens um 6 Uhr los. 1.200 Höhenmeter rauf und fast ebenso viele wieder herunter. Ich weiß bis heute nicht, wann ich eigentlich den Gipfel erreichte, vermutlich zwischen einer Schafherde und einem Käsestand für müde Pilger. Irgendwann ging es einfach wieder runter. Es war hart, aber großartig.
Die ersten Tage stolperte ich am Ende jeder Etappe völlig fertig in die erste Herberge des Zielortes, duschte im Sitzen, um Energie zu sparen und verbrachte den Nachmittag damit, meine Füße zu verarzten, monströse Blasen zu verpflastern, Knöchel zu bandagieren, die Achillessehne mit Schmerzcremes zu massieren und Medikamenten-Nachschub in der Apotheke zu besorgen.
Man lernt schnell: Der Körper ist dein Kapital. Abgesehen davon, dass ich die Sehnen, Bänder, Knochen und Muskeln in meinen unteren Extremitäten nun vermutlich besser kenne als jeder Medizinstudent, wurde mir bewusst, dass es auf jeden Fall wert ist, Zeit, Energie und Geld in einen gesunden und funktionsfähigen Körper zu investieren. Es lohnt sich, sich um sich selbst zu kümmern!
Die ersten neun Tage musste ich die Zähne zusammenbeißen. Ich hatte Schmerzen und konnte mir morgens beim Anziehen meiner Schuhe nicht vorstellen, 25 km auf diesen Füßen zu laufen. Aber bei 40.000 Schritten pro Tag tut es ja auch nur 40.000-mal weh. Und nach ca. 10 km hat man sich an den Schmerz gewöhnt. Dennoch hatte ich Zweifel, ob ich es bis nach Finesterre schaffen würde. Aber aufzugeben oder Etappen mit dem Bus zu fahren, war für mich keine Option.
Und dann ging es plötzlich bergauf: glücklicherweise nur mental. Ich wurde fitter, mein Körper gewöhnte sich an die Strapazen und entwickelte Muskeln, die ich bis dato noch nie hatte. Und ich konnte mich weniger auf Schmerzen als vielmehr auf den Geist konzentrieren und die tägliche Frage: „Warum genaue mache ich das eigentlich?“ Soviel sei gesagt: Urlaub ist das nicht! Um morgens gegen 5.30 Uhr aufzustehen und jeden Tag zwischen 20 und 35 Kilometer zu laufen – und das fünf Wochen lang –, braucht man einen guten Grund.
Als ich nach gut drei Wochen auf einem weiteren Berg (von wegen, nach den Pyrenäen wird es flach…) am Cruz de Ferro ankam, wusste ich, warum ich laufe. An diesem Kreuz legt jeder Pilger einen Stein aus einer Heimat ab – gemeinsam mit seinem persönlichen Ballast. Viele tragen innerlich einen größeren Rucksack mit sich herum als das Gepäck auf dem Rücken. Und jeder, der den Jakobsweg geht, hat einen ganz persönlichen Grund dafür. Selbst, wenn er das am Anfang noch nicht weiß.
Die letzten 57 km nach Santiago bin ich in einem Rutsch durchgelaufen – mit einer kurzen Schlafpause in meinem Schlafsack auf einem Feld unter dem Sternenhimmel, fünf Sternschnuppen inklusive. Gemeinsam mit anderen Pilgern bin ich durch die Nacht gewandert, um den Sonnenaufgang kurz vor Santiago zu erleben. Es ist ein ganz besonderer Moment, dort auf den Platz vor der Kathedrale einzubiegen.
Aber ich hatte schon davor beschlossen, dass der Endpunkt meiner Reise nicht Santiago sein wird, sondern der atlantische Ozean in Finesterre, noch einmal gut 90 km entfernt.
Für mich war das genau die richtige Entscheidung. Die Menschenmassen und Bustouristen in Santiago haben mich nach fünf Wochen in der Natur direkt überrollt. Dagegen war die Ankunft am „Ende der Welt“ mit dem Leuchtturm, den Felsformationen und dem mystischem Nebel perfekt. Dort zu sitzen, ein kühles Bier in der Hand und die Jakobsmuschel, die mich als Zeichen des Pilgerns am Rucksack über die ganze Zeit begleitet hat, ins Meer zu werfen, ist ein wunderbarer Moment. Der perfekte Abschluss einer unglaublichen Reise.
Manchmal war es leicht, manchmal war es hart. Was ich auf dem Weg gelernt habe, ist zu vertrauen. Auf sich und seinen Körper. Und Gelassenheit: Ein Schritt nach dem anderen. Eine Einstellung, die ich auf jeden Fall ins „richtige“ Leben mitnehme.
Bärbel Mees am Kilometer Null - dem letzten Kilometerstein des Jakobswegs (Obwohl der Camino a Fisterra streng genommen nicht zu den Jakobswegen gehört, pilgerte man schon im Mittelalter bis hierher - zum damaligen Ende der Welt)