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Fit mit Köpfchen - Mentale Fitness mit Dr. Christian Graz

Warum das Wandern den Kopf so gut freimacht

  • Dr. Christian Graz
Wandern hat zahlreiche positive Effekte auf den Körper. Genauso effektiv sind Wanderungen aber auch für die mentale Fitness – gerade jetzt im Herbst. Wandert Euch den Stress weg!
Als Kinder und Jugendliche mochten wir es nicht. Mit den Eltern in die Berge oder über Stock und Stein, das war langweilig, oft auch ziemlich mühsam. Doch mit dem Alter schätzen es immer mehr Menschen. Etwa 30 Prozent der Deutschen wandern, etwa 10 Prozent regelmäßig. Recht so! Aus psychologischer Sicht ist das Wandern perfekt für den Geist – gerade jetzt im Herbst, wenn es gilt, nochmals ein paar mentale Körner für den Winter anzusammeln und ab und an Abstand vom Alltag zu gewinnen.

Was die Studienlage sagt

Wissenschaftler befassen sich seit längerem mit den Auswirkungen des Wanderns auf die Befindlichkeit, Gehirn und Nervensystem. Eine Forschergruppe um Grogory N. Bratmana etwa kam zu dem Resultat „Nature experience reduces rumination and subgenual prefrontal cortex activation“, oder einfacher gesagt: Bereits regelmäßige 90-minütige Spaziergänge senken die Gefahr der Entwicklung psychischer Störungen wie depressiv-ängstliche Erschöpfungssyndrome und wirken positiv auf die Gedächtnisfähigkeit und die Schlafqualität.

Es ist in erster Linie das Erlebnis der Natur und von Ruhe und Entschleunigung, die diese Effekte auslösen. Neben der wohltuenden Bewegung ist das Wandern zudem eine gute Gelegenheit zur digitalen Auszeit, digitales Detox sozusagen. Vom Gipfel eines Berges aus sieht man viele beruflichen und privaten Dinge aus einer anderen Perspektive.

Eine andere Auswirkung des Wanderns beschreibt Ruth Ann Atchley gemeinsam mit Kollegen. Sie wies nach, was wir möglicherweise schon alle selbst erlebt haben: Wandern in der freien Natur steigert die kreative Problemlösungskompetenz. Künstler, Werber und andere kreativ schaffende Menschen sollten also zu einer gedanklichen Pause lieber einmal wandern gehen, als im Büro oder Atelier zu grübeln. Wandern beflügelt frische Ideen.

Die Gehirnforschung belegt also, dass Spaziergänge und Wanderungen bestimmte Gehirnregionen und -aktivitäten positiv beeinflussen, was in der Folge zu einer besseren Konzentrations- und mentalen Leistungsfähigkeit beiträgt. (Quelle: Charles Hillman von der University of Illinois).

In einer weiteren Studie weisen die Autoren nach, dass Wandern im Alter einen Zellabbau der grauen Hirnmasse verhindert. Schon bei durchschnittlichen Fußmärschen von wöchentlich 10 bis 15 Kilometern kommt es zu deutlich weniger Hirnatrophien. Das Risiko der Entwicklung alltagsrelevanter Gedächtnisstörungen sinkt, die sogenannte kristalline Intelligenz wird länger bewahrt, auch der formale Gedankengang profitiert und bleibt, bis ins hohe Alter, weniger beeinträchtigt.

Wandern hat also nachweislich nicht nur positive Effekte auf Herz-Kreislauf-System, Immunsystem, Körpergewicht, unser Stützskelett nebst Muskulatur und Gelenken sowie auf Stoffwechselvorgänge, sondern auch unmittelbar auf die Gehirnfunktionen. Wandern reduziert Stress, in dem weniger Cortisol ausgeschüttet wird und stattdessen Botenstoffe wie Serotonin vermehrt auftreten.

Bereits Hippokrates erkannte 300 vor Christus, dass moderate Bewegung in der Natur protektive Effekte auf Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarktrisiko, Schlaganfall, metabolisches Syndrom und degenerative Erkrankungen haben.

Heute empfehlen Bundesgesundheitsministerium und WHO erwachsenen Menschen mindestens 150 Minuten ausdauerorientierte Bewegung pro Woche mit moderater Intensität, dies möglichst kombiniert mit mindestens 2-stündiger Muskelkräftigung. Sportliche Spaziergänge und Wandern sind dabei top, um diesen bewegungsaktiven Lebensstil zu führen. Die positiven Effekte auf kognitive Funktionen wie auch auf das psychosoziale Wohlbefinden und die Schlafqualität sind sozusagen das „Sahnehäubchen“. Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von „Gesundheitswandern“ oder „Breitbandtherapeutikum Wandern“.

„Forrest Bathing“ in Japan

Eine spezielle Form des Wanderns hat sich in Japan etabliert. Dort wird seit über zehn Jahren erforscht, welchen Einfluss "Shinrin-yoku" („Waldbaden - Einatmen der Waldatmosphäre") auf die mentale und physische Gesundheit, insbesondere das Stressempfinden besitzt. Daraus hat sich eine neue medizinische Forschungsrichtung, die „Forest medicine“ entwickelt. Die Mediziner konzentrieren sich dabei auf die Erfassung von Aktivitäten im zentralen und im vegetativen Nervensystem sowie biochemischen Reaktionen bei der Regulation von Stress.

Sie gehen von einer therapeutischen Wirkung des Waldes als Ganzes aus, aber auch seiner einzelnen Elemente auf unsere Sinnesorgane aus. In Feld- und Laborexperimenten vergleichen die japanischen Forscher die Ergebnisse von Probanden in einer Waldumgebung mit denen von Probanden in einer städtischen Atmosphäre. Zur Messung der Aktivitäten im zentralen Nervensystem wird die absolute Hämoglobinkonzentration im Blut bestimmt. Veränderungen im vegetativen Nervensystem werden anhand des Blutdrucks, der Puls- und Herzfrequenz erfasst, Faktoren bei der Stressregulation mit Hilfe von Speicheluntersuchungen. Über Fragebögen wird zudem das subjektive Empfinden erfasst.

Die Ergebnisse zeigen signifikante Unterschiede zwischen der Untersuchungsgruppe im Wald und der Kontrollgruppe in der Stadt. In mehreren Studien konnte der Erholungseffekt und die Reduktion von Stress durch Shinrin-yoku nachgewiesen werden. Auch die psychologischen Messungen nach dem Gehen und bei der Betrachtung des Waldes unterstützen die Ergebnisse. Im Wald fühlen sich die Probanden wohler, ruhiger und aufgeweckter als in der Stadt.

Also: Nutzt die Zeit bis zum ersten Schnee mit Spaziergängen im Wald oder Wanderungen auf den nächsten Berg!

Dr Christian GrazZur Person: 
Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.

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