Focus on Performance -- Martin Weddemann (re.) im Gespräch mit Per Mertesacker
Neue Motivation Richtung Tokio
- Frank Schneller
Martin Weddemann (35) arbeitet seit 2010 im Spitzensport. Er hat Sportwissenschaften und Medienkommunikation studiert. Seine große Leidenschaft ist aber die Talententwicklung im Fußball mit dem Ziel der vollen Potentialausschöpfung auf sportlicher und persönlicher Ebene. Schon seit Jahren interessiert sich der Unternehmer Weddemann für die soziologischen und psycho-sozialen Aspekte des Sports und die Grundvoraussetzungen für Höchstleistung und maximale Potentialentfaltung – vor allem auf professioneller Ebene, aber auch in der Breite. Im Interview mit Frank Schneller liefert er eine Anleitung für die enttäuschten Profisportlerinnen und -Sportler, sich mit der abgebrochenen Saison nicht nur abzufinden oder zu arrangieren, sondern vielmehr neue Kraft daraus zu schöpfen, dass es wieder eine Perspektive gibt.
Herr Weddemann, Sie nehmen im Umgang mit Sportlern die individuelle Perspektive der Aktiven ein, achten aber auch auf das jeweilige Gruppenverhalten und die Prozesse innerhalb einer Sportgemeinschaft. Große Ziele, Meisterschaften, Pokale, Olympische Spiele, auf tausende deutsche Athletinnen und Athleten hintrainiert haben, sind auf die nächste Saison oder gar auf das kommende Jahr verschoben worden. Träume zerplatzten. Oder gehen in die Verlängerung. Alle mussten in der Corona-Krise zunächst alleine trainieren, ihr Timing und ihre Etappenziele neu justieren. Einige Mannschaftssportarten kehrten inzwischen wieder zumindest in den Trainingsbetrieb zurück. Einige wagten die Wiederaufnahme eines abgewandelten Spielbetriebs. Kann das Gefühl einer Gemeinschaft anzugehören, einer Solidargemeinschaft, etwas helfen?
Ich hole mal etwas aus, wenn ich darf: Ich habe gerade die ESPN-Doku „The Last Dance“ über die Chicago Bulls und Michael Jordan geschaut und mich in den letzten Jahren mit dem Coaching- und Leadershipansatz von Erfolgstrainer Phil Jackson auseinandergesetzt, der 11 NBA Titel gewonnen hat, sechs mit den Chicago Bulls und fünf mit den LA Lakers. Phil Jackson, der sich viel mit Zen-Buddhismus und der Spiritualität der amerikanischen Ureinwohner beschäftigt hat, ist der erfolgreichste Coach der NBA-Geschichte und in seinem Coaching geht es darum individuelle und mannschaftliche Ziele in Einklang zu bringen um maximalen Erfolg zu erzielen, insbesondere wenn man als Coach Stars und überragende Individualisten wie Michael Jordan, Scottie Pippen, Dennis Rodman, Kobe Bryant oder Shaquielle O’Neal in seinem Team hat. Eines von Phil Jacksons Mottos war: „We have to turn mes into wes“. Im Hochleistungssport sind der individuelle Ehrgeiz und der Hunger nach dem maximalen Erfolg die Grundvoraussetzungen um erfolgreich zu sein, dennoch muss dieser individuelle Ehrgeiz und die Exzellenz einzelner im Kontext eines Teams kanalisiert und bestmöglich eingesetzt werden. Wenn diese Transformation von „Me into We“ klappt, kann ein Team in der Folge einen Zustand erreichen, der einem Flow gleicht – dann geht es um die pure Liebe zum Sport, um den Spaß und die Freude ihn gemeinsam zu zelebrieren und zu genießen – meistens ist Erfolg dann die logische Konsequenz. Das Team und jeder Einzelne ist dann im Hier und Jetzt. Wenn solch ein Zustand innerhalb eines Olympiakaders als Individuum und in der Gruppe erreicht werden kann, hat der Sport seinen wahren Zweck erfüllt: Innere Zufriedenheit, Glück und Gemeinschaftsgefühl. Dies kann Halt, Selbstsicherheit, Selbstvertrauen und Mut für alle weiteren Lebensaufgaben und Bereiche geben.
Was wiegt aus Ihrer Sicht mehr? Der eigene Antrieb oder das Wir-Gefühl?
Ich glaube, dass mentale Prozesse zur Erlangung von individueller Höchstleistung und maximalem Erfolg in der Gruppe ähnlich funktionieren. Das wichtigste ist, im Hier und Jetzt präsent zu sein und den Moment der sportlichen Aktivität und des Wettkampfes zu genießen. Wenn die Aktiven sich als Solidargemeinschaft verstehen und dabei ihre persönlichen Ziele erreichen, haben alle gewonnen –im besten Fall auch die Vereine, die motivierte Aktive in ihren Reihen haben, die dieses neu gewonnene Wir-Gefühl und ihre Motivation für den Sport übrigens auch ihren Trainingsgruppen und anderen Mitgliedern weitergeben können.
In der Corona-Krise wurde unser Leben wie wir es kannten quasi von jetzt auf gleich angehalten – auch die Sportwelt stand still. Wie hilfreich kann es da sein, ein sportliches Ziel zu haben – und mag es auch weiter entfernt liegen als ursprünglich mal avisiert?
Ziele sind immer wichtig, egal in welcher Zeit. Ohne konkrete Ziele hat man selten eine Perspektive und hat Schwierigkeiten die nötige Motivation bzw. Volition aufzubringen in Sport, Beruf und Leben maximal erfolgreich zu sein. Der individuelle Erfolg und das Erreichen von gesteckten Zielen bestimmen sicherlich auch den Grad der Selbstzufriedenheit. Nur mit Zielen kann man sein Leben pro-aktiv selbst bestimmen und gestalten. Ich denke, dass in diesen Krisen-Zeiten der Terminus Volition der Begriff ist, der die Zielsetzung mit dem Erreichen von mehreren Etappenzielen bestmöglich beschreibt: denn Volition bezeichnet die bewusste, willentliche Umsetzung von Zielen und Motiven in Resultate und Ergebnisse durch zielgerichtete Steuerung von Gedanken, Emotionen, Motiven und Handlungen. Dieser Prozess der Selbststeuerung erfordert die Überwindung von inneren und äußeren Widerständen wie zum Beispiel Unlustgefühlen oder Ablenkungen oder in diesem Fall durch Einschränkungen im Rahmen der Corona Krise durch Willenskraft.
Die Einschränkungen in Zeiten der Corona Krise kamen abrupt und griffen in die persönliche Freiheit jedes Einzelnen ein ...
... umso wichtiger ist es dann, ein Ziel für die Zeit nach der Krise zu haben, auf das man während der Krise hinarbeiten kann. Hier ist es auch wichtig, das große Ziel in viele kleine Etappenziele zu zerlegen. So kann man es Schritt für Schritt im Rahmen der – zugegeben neuen – Bedingungen erreichen. Etappenziele geben Sicherheit, Halt und Orientierung. Das kann helfen, die Einschränkungen der Krise erträglicher zu machen und sogar eine gewisse persönliche Freiheit zu empfinden.
Sport als Balsam, als seelischer Ausgleich – selbst wenn Sport als Profession ausgeübt wird?
Ja. Gerade auch dann. Das menschliche Gehirn ist durch Bewegung entstanden und ist in erster Linie für Bewegung gemacht. Bewegung und körperliche Ertüchtigung baut Stress ab, hilft den Kopf frei zu bekommen und hat nachgewiesenermaßen positive Effekte auf die Psyche, die mentale und körperliche Gesundheit. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, ist Sport in der Gruppe natürlich die beste Maßnahme dafür. In Krisen mit Einschränkung der persönlichen und allgemeinen Freiheit kann die reine Bewegung an sich – auch alleine – daher sehr positive Effekte auf die individuelle körperliche und vor allem auf die mentale Gesundheit haben, da die Menschen in der aktuellen Zeit vielen Stressoren, Unsicherheiten, Sorgen und Ängsten ausgesetzt sind. Bewegung und Meditation um die Gedanken zu ordnen und den Kopf freizubekommen, sind sicherlich essentielle Präventivmaßnahmen, um depressiven Verstimmungen oder noch Schlimmeren vorzubeugen.
Wenn dann nach den Lockerungen auch die Perspektive auf die Wettbewerbe wieder näher rückt – taugt das als eine Art zusätzlicher Motivationsschub, sich nochmals zu motivieren? Setzt das zusätzliche Kräfte frei?
Aus meiner Sicht auf jeden Fall. Vorab möchte ich dazu noch Folgendes anmerken: Ich denke, dass diese Krise mit all seinen schlimmen Kollateralschäden und Folgen für jeden Einzelnen und unsere Gesellschaft zumindest eines bewirken kann: Der Mensch wird im Idealfall wieder dankbarer sein für die Möglichkeiten, die ihm unser tolles Land bietet. Er wird bestenfalls weniger egoistisch handeln und wird die vermeintlich kleinen Dinge im Leben wieder viel mehr zu schätzen wissen – u.a. eben auch den Sportverein mit seinem vielseitigen Sportangebot, das Miteinander beim und nach dem gemeinsamen Sport, die vielen tollen Sportevents, Ligabetriebe und Wettkämpfe. Selbst wenn viele jetzt in einen neuen Vorbereitungsmodus schalten und diesen auch erst einmal organisieren müssen: Das Training auf dem Weg zum Ziel wird bei vielen von ihnen nochmals positive Energie und einen Motivationsschub freisetzen.
Dann hat der berühmte Satz „der Weg ist das Ziel“ für Sie seine Berechtigung?
Ja, durchaus. Denn ohne Perspektive und ohne Ziele verlieren wir schnell die Lebenslust und unsere Motivation. Es kann zur befriedigendsten Erfahrung von allen werden, wenn Sportlerinnen und Sportler auf dem neuen Weg jetzt diese widrigen Umstände überwinden. Viele werden dabei neue tolle Menschen treffen, die einen persönlich weiterbringen, neue Perspektiven eröffnen, neue Freundschaften schließen – und auch sich selbst noch besser kennen lernen. Daher glaube ich, dass das dieser Prozess definitiv einen Motivationsschub auch für andere Bereiche des Lebens freisetzen wird.
Ich hole mal etwas aus, wenn ich darf: Ich habe gerade die ESPN-Doku „The Last Dance“ über die Chicago Bulls und Michael Jordan geschaut und mich in den letzten Jahren mit dem Coaching- und Leadershipansatz von Erfolgstrainer Phil Jackson auseinandergesetzt, der 11 NBA Titel gewonnen hat, sechs mit den Chicago Bulls und fünf mit den LA Lakers. Phil Jackson, der sich viel mit Zen-Buddhismus und der Spiritualität der amerikanischen Ureinwohner beschäftigt hat, ist der erfolgreichste Coach der NBA-Geschichte und in seinem Coaching geht es darum individuelle und mannschaftliche Ziele in Einklang zu bringen um maximalen Erfolg zu erzielen, insbesondere wenn man als Coach Stars und überragende Individualisten wie Michael Jordan, Scottie Pippen, Dennis Rodman, Kobe Bryant oder Shaquielle O’Neal in seinem Team hat. Eines von Phil Jacksons Mottos war: „We have to turn mes into wes“. Im Hochleistungssport sind der individuelle Ehrgeiz und der Hunger nach dem maximalen Erfolg die Grundvoraussetzungen um erfolgreich zu sein, dennoch muss dieser individuelle Ehrgeiz und die Exzellenz einzelner im Kontext eines Teams kanalisiert und bestmöglich eingesetzt werden. Wenn diese Transformation von „Me into We“ klappt, kann ein Team in der Folge einen Zustand erreichen, der einem Flow gleicht – dann geht es um die pure Liebe zum Sport, um den Spaß und die Freude ihn gemeinsam zu zelebrieren und zu genießen – meistens ist Erfolg dann die logische Konsequenz. Das Team und jeder Einzelne ist dann im Hier und Jetzt. Wenn solch ein Zustand innerhalb eines Olympiakaders als Individuum und in der Gruppe erreicht werden kann, hat der Sport seinen wahren Zweck erfüllt: Innere Zufriedenheit, Glück und Gemeinschaftsgefühl. Dies kann Halt, Selbstsicherheit, Selbstvertrauen und Mut für alle weiteren Lebensaufgaben und Bereiche geben.
Was wiegt aus Ihrer Sicht mehr? Der eigene Antrieb oder das Wir-Gefühl?
Ich glaube, dass mentale Prozesse zur Erlangung von individueller Höchstleistung und maximalem Erfolg in der Gruppe ähnlich funktionieren. Das wichtigste ist, im Hier und Jetzt präsent zu sein und den Moment der sportlichen Aktivität und des Wettkampfes zu genießen. Wenn die Aktiven sich als Solidargemeinschaft verstehen und dabei ihre persönlichen Ziele erreichen, haben alle gewonnen –im besten Fall auch die Vereine, die motivierte Aktive in ihren Reihen haben, die dieses neu gewonnene Wir-Gefühl und ihre Motivation für den Sport übrigens auch ihren Trainingsgruppen und anderen Mitgliedern weitergeben können.
In der Corona-Krise wurde unser Leben wie wir es kannten quasi von jetzt auf gleich angehalten – auch die Sportwelt stand still. Wie hilfreich kann es da sein, ein sportliches Ziel zu haben – und mag es auch weiter entfernt liegen als ursprünglich mal avisiert?
Ziele sind immer wichtig, egal in welcher Zeit. Ohne konkrete Ziele hat man selten eine Perspektive und hat Schwierigkeiten die nötige Motivation bzw. Volition aufzubringen in Sport, Beruf und Leben maximal erfolgreich zu sein. Der individuelle Erfolg und das Erreichen von gesteckten Zielen bestimmen sicherlich auch den Grad der Selbstzufriedenheit. Nur mit Zielen kann man sein Leben pro-aktiv selbst bestimmen und gestalten. Ich denke, dass in diesen Krisen-Zeiten der Terminus Volition der Begriff ist, der die Zielsetzung mit dem Erreichen von mehreren Etappenzielen bestmöglich beschreibt: denn Volition bezeichnet die bewusste, willentliche Umsetzung von Zielen und Motiven in Resultate und Ergebnisse durch zielgerichtete Steuerung von Gedanken, Emotionen, Motiven und Handlungen. Dieser Prozess der Selbststeuerung erfordert die Überwindung von inneren und äußeren Widerständen wie zum Beispiel Unlustgefühlen oder Ablenkungen oder in diesem Fall durch Einschränkungen im Rahmen der Corona Krise durch Willenskraft.
Die Einschränkungen in Zeiten der Corona Krise kamen abrupt und griffen in die persönliche Freiheit jedes Einzelnen ein ...
... umso wichtiger ist es dann, ein Ziel für die Zeit nach der Krise zu haben, auf das man während der Krise hinarbeiten kann. Hier ist es auch wichtig, das große Ziel in viele kleine Etappenziele zu zerlegen. So kann man es Schritt für Schritt im Rahmen der – zugegeben neuen – Bedingungen erreichen. Etappenziele geben Sicherheit, Halt und Orientierung. Das kann helfen, die Einschränkungen der Krise erträglicher zu machen und sogar eine gewisse persönliche Freiheit zu empfinden.
Martin Weddemann
Sport als Balsam, als seelischer Ausgleich – selbst wenn Sport als Profession ausgeübt wird?
Ja. Gerade auch dann. Das menschliche Gehirn ist durch Bewegung entstanden und ist in erster Linie für Bewegung gemacht. Bewegung und körperliche Ertüchtigung baut Stress ab, hilft den Kopf frei zu bekommen und hat nachgewiesenermaßen positive Effekte auf die Psyche, die mentale und körperliche Gesundheit. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, ist Sport in der Gruppe natürlich die beste Maßnahme dafür. In Krisen mit Einschränkung der persönlichen und allgemeinen Freiheit kann die reine Bewegung an sich – auch alleine – daher sehr positive Effekte auf die individuelle körperliche und vor allem auf die mentale Gesundheit haben, da die Menschen in der aktuellen Zeit vielen Stressoren, Unsicherheiten, Sorgen und Ängsten ausgesetzt sind. Bewegung und Meditation um die Gedanken zu ordnen und den Kopf freizubekommen, sind sicherlich essentielle Präventivmaßnahmen, um depressiven Verstimmungen oder noch Schlimmeren vorzubeugen.
Wenn dann nach den Lockerungen auch die Perspektive auf die Wettbewerbe wieder näher rückt – taugt das als eine Art zusätzlicher Motivationsschub, sich nochmals zu motivieren? Setzt das zusätzliche Kräfte frei?
Aus meiner Sicht auf jeden Fall. Vorab möchte ich dazu noch Folgendes anmerken: Ich denke, dass diese Krise mit all seinen schlimmen Kollateralschäden und Folgen für jeden Einzelnen und unsere Gesellschaft zumindest eines bewirken kann: Der Mensch wird im Idealfall wieder dankbarer sein für die Möglichkeiten, die ihm unser tolles Land bietet. Er wird bestenfalls weniger egoistisch handeln und wird die vermeintlich kleinen Dinge im Leben wieder viel mehr zu schätzen wissen – u.a. eben auch den Sportverein mit seinem vielseitigen Sportangebot, das Miteinander beim und nach dem gemeinsamen Sport, die vielen tollen Sportevents, Ligabetriebe und Wettkämpfe. Selbst wenn viele jetzt in einen neuen Vorbereitungsmodus schalten und diesen auch erst einmal organisieren müssen: Das Training auf dem Weg zum Ziel wird bei vielen von ihnen nochmals positive Energie und einen Motivationsschub freisetzen.
Dann hat der berühmte Satz „der Weg ist das Ziel“ für Sie seine Berechtigung?
Ja, durchaus. Denn ohne Perspektive und ohne Ziele verlieren wir schnell die Lebenslust und unsere Motivation. Es kann zur befriedigendsten Erfahrung von allen werden, wenn Sportlerinnen und Sportler auf dem neuen Weg jetzt diese widrigen Umstände überwinden. Viele werden dabei neue tolle Menschen treffen, die einen persönlich weiterbringen, neue Perspektiven eröffnen, neue Freundschaften schließen – und auch sich selbst noch besser kennen lernen. Daher glaube ich, dass das dieser Prozess definitiv einen Motivationsschub auch für andere Bereiche des Lebens freisetzen wird.