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Frauen-WM: FIFA-Schiedsrichterin Anja Kunick im Interview

  • Redaktion
Anja Kunick ist eine der Schiedsrichtergrößen im Frauenfußball. Die FIFA-Schiedsrichterin pfeift in der Bundesliga, im Europapokal und Länderspiele. Aber auch bei den Männern ist sie bis zur Oberliga tätig. Im Interview spricht die 36- Jährige über das Dasein als Schiedsrichterin, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen und über die Titelchancen der deutschen Mannschaft bei der WM.

netzathleten.de: Wieso haben Sie sich entschieden Schiedsrichterin zu werden? Ist ja kein Traumjob, in dem man immer gelobt wird…

Anja Kunick: Ich war selbst früher Fußballspielerin und hatte 1995 dann innerhalb eines Jahres zwei Kreuzbandrisse. Eigentlich wollte ich nur die Verletzungspause überbrücken, indem ich einen Schiedsrichterkurs gemacht habe. Im ersten Spiel, das ich pfeifen durfte, habe ich gleich gemerkt, dass es sehr viel Spaß macht und eine Herausforderung ist. Deshalb bin ich dabei geblieben. Letzten Endes war ich damit auch erfolgreicher, als ich es als Spielerin sicherlich gewesen wäre.

netzathleten.de: Als Schiedsrichter/in steht man immer unter einem gewissen Druck – Wie kommen Sie damit zu Recht?

Anja Kunick: Direkt unter Druck gesetzt fühle ich mich eigentlich nicht. Ansonsten hätte man ja keinen freien Kopf mehr, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Der Druck ist eine Sache, mit der man durch die Erfahrung und durch den Glauben an die eigenen Fähigkeiten lernt umzugehen. Den Druck muss man ganz einfach ausblenden und relativ emotionslos seinen Job nach bestem Wissen und Gewissen erledigen. Kritik gibt es natürlich immer, aber das ist Tagesgeschäft und gehört dazu.

netzathleten.de: Wie gehen Sie mit Fehlentscheidungen um?

Anja Kunick: Das Wichtigste dabei ist die Selbstkritik. Dass man ein Spiel entsprechend für sich selbst nachbereitet. Aber auch wenn ich während dem Spiel schon merke, dass ich in einer Situation falsch gelegen habe, versuche ich das in dem Moment auszublenden und der Entscheidung nicht nachzuhängen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das die Wahrnehmung in anderen Situationen verzerrt und eventuell noch weitere Fehlentscheidungen zur Folge hätte.

netzathleten.de: Wenn Sie in der Frauen-Bundesliga im Einsatz sind, wie läuft ein Spieltag für Sie als Schiedsrichterin ab?

Anja Kunick: Im Normalfall reise ich mit meinen Schiedsrichterassistentinnen schon einen Tag vor dem Spiel an. Morgens frühstücken wir dann gemeinsam und bereiten uns schon etwas auf das Spiel vor. Was uns erwartet, wie die Tabellensituation der beiden Teams ist und worauf es zu achten gilt. Dann fahren wir gemeinsam zum Spielort, sodass wir ungefähr 90 Minuten vor Anpfiff im Stadion sind. Dort begehen wir den Platz, um zu sehen, ob der Untergrund auch bespielbar ist oder ob beispielsweise der Rasen zu tief, damit keine Verletzungsgefahr besteht. Kurz vor dem Spiel wird dann noch gecheckt, ob die Linien richtig abgekreidet und die Tornetze in Ordnung sind. Danach werden die Spielfarben der beiden Mannschaften abgeglichen, sodass wir dementsprechend auch unser Trikot auswählen können. Außerdem erhalten wir den Spielberichtsbogen, damit wir die Aufstellungen kennen und diese auf unsere Notizkarten übertragen können. Abschließend gibt es noch einmal eine konkrete Absprache, was Mimik, Gestik oder Handzeichen zwischen mir und meinen Assistentinnen angeht, damit die Kommunikation auf dem Platz so stattfindet, dass Außenstehende oder Spielerinnen nicht gleich wissen, was wir uns gerade zu sagen haben.

netzathleten.de: Was sind für Sie aus Schiedsrichter-Sicht die größten Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Anja Kunick: Als Außenstehende wird es immer so empfunden, als ob die Fouls von Männern härter wären. Das liegt meiner Meinung nach eher an der Optik, weil der Männerfußball einfach viel schneller und kraftvoller ist. Da sehen die Foulspiele oftmals spektakulärer aus. Aber vom Empfinden her gibt es denke ich keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Was das Pfeifen angeht, spielt es meiner Meinung nach keine Rolle, ob ich eine Frau bin oder ein Mann, da zählt einfach die Leistung.

netzathleten.de: Ist es „schwieriger“ ein Männerspiel zu pfeifen?

Anja Kunick: Nein. Dadurch, dass der Männerfußball schneller ist, muss ich zwar häufiger Entscheidungen treffen, aber es ist der gleiche Sport mit den gleichen Regeln. Von daher würde ich es als anders, jedoch nicht als schwieriger bezeichnen.

netzathleten.de: Ist Ihnen ein Spiel in Ihrer Schiedsrichterkarriere besonders in Erinnerung geblieben?

Anja Kunick: Mein allererstes Spiel, welches ich pfeifen durfte, ist mir schon besonders in Erinnerung geblieben. Das war ein C-Jugend-Spiel, gleich auf einem Großfeld. Ich war zwar schon viele Jahre zuvor oft als einziges Mädchen im Jungs-Fußball unterwegs und habe mir deshalb vorher auch nicht groß Gedanken gemacht. Aber dann stand ich auf einmal ganz allein auf so einem großen Spielfeld und mir wurde klar, dass ich hier jetzt die gesamte Spielzeit über immer 100 Prozent gefragt bin und mich nicht wie als Spielerin einmal kurz zurückfallen lassen kann, um mal eine Verschnaufpause einzulegen. Diese Erfahrung hat sich in mein Gedächtnis gebrannt.

netzathleten.de: Was sind Ihre Ziele, die Sie als Schiedsrichterin noch erreichen wollen?

Anja Kunick: Im Frauenfußball ist sicherlich noch ein Ziel, mal bei einem größeren internationalen Turnier pfeifen zu dürfen oder auch ein gutes Champions-League Spiel.

netzathleten.de: Ist die Enttäuschung groß, dass sie bei der WM nicht als Schiedsrichterin dabei sind?

Anja Kunick: Nein, eigentlich nicht. Ich bin momentan schon in Dresden vor Ort und bin dort für den gesamten Medienbereich verantwortlich, was Pressekonferenzen, die Mixed-Zone und Fotografen etc. anbelangt. Und das ist auch der Job, den ich sonst gemacht habe, denn ich bin beim Sächsischen Fußball-Verband als Pressesprecherin tätig. Dieser Arbeit als ehemalige Spielerin und aktive Schiedsrichterin jetzt beim höchsten Fußballevent nachgehen zu dürfen und hautnah dabei zu sein, ist einfach ein Traum, der mich beruflich enorm bereichert. Deswegen kann ich gut damit leben, dass ich bei der WM nicht als Schiedsrichterin dabei bin. Außerdem haben wir mit Bibiana Steinhaus in Deutschland eine absolute Nummer 1. Deshalb habe ich auch im Vorfeld überhaupt nicht damit gerechnet. Und wenn man etwas nicht erwartet, kann man auch nicht enttäuscht werden.

netzathleten.de: Glauben Sie, dass die WM eine ähnliche Begeisterung auslösen kann wie die WM 2006?

Anja Kunick: Den Vergleich sollte man meiner Meinung nach so gar nicht anstellen. Die Männer-WM ist eine ganz andere Kategorie, wo noch viel viel mehr Menschenmassen mobilisiert werden. In den Dimensionen sollte man im Frauenfußball nicht denken. Aber ich bin ganz fest davon überzeugt, dass die Frauenfußball- WM hier in Deutschland trotzdem eine riesige Euphorie auslösen wird. Bei den Public Viewings und Fanfesten die es gibt, wird die Begeisterung mit Sicherheit genauso groß sein.

netzathleten.de: Trauen Sie der deutschen Mannschaft die Titelverteidigung zu?

Anja Kunick: Auf jeden Fall. Ich denke, die Deutschen sind die beste Mannschaft. Sie ist auf fast allen Positionen doppelt gut besetzt. In der Vorbereitung hat das Team seine Souveränität erneut unter Beweis gestellt. Der Erwartungsdruck von außen ist natürlich sehr hoch, da der Titel fast erwartet wird. Damit muss die Mannschaft auf dem Platz erst einmal umgehen können und ich hoffe, dass die Mädels den Druck von außen nicht so nah an sich heranlassen und konzentriert ihre Aufgaben erledigen können. Es gibt natürlich auch nennenswerte Konkurrenz, wie die USA, Brasilien oder auch Nordkorea. Das deutsche Team muss also auf jeden Fall hart um den Titel kämpfen. Aber das Zeug dazu haben sie in jedem Fall und ich hoffe, dass sie es schaffen werden.

netzathleten.de bedankt sich recht herzlich bei Anja Kunick für das Interview und wünscht für die Zukunft alles Gute!

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