Starke Österreicher, schwache Österreicher - Marc Girardellis WM Kolumne picture-alliance; Im Ziel völlig erschöpft: Weltmeister Aksel Lund Svindal

Starke Österreicher, schwache Österreicher - Marc Girardellis WM Kolumne

  • Nils Borgstedt
Die erste Woche der alpinen Ski-WM 2011 in Garmisch-Partenkirchen ist vorüber. Mark Girardelli blickt in seiner Kolumne zurück auf Überraschungen der vergangenen Rennen und erklärt, wer seine Favoriten für die kommenden Rennen beim Team-Event, Riesenslalom und Slalom sind.

Wer hätte das gedacht? Die Hälfte der WM ist vorbei und die Österreicher stellen mit drei Mal Gold und ein Mal Silber die erfolgreichste Nation. Vor allem das „wie“ ist dabei überraschend. Dass gerade die Damen so erfolgreich sind, hätten wahrscheinlich selbst die Österreicher nicht erwartet. Ihnen wäre es vermutlich sogar lieber gewesen, dass die Herren stark sind und die Damen schwächeln.

Die österreichischen Herren geben mir tatsächlich Rätsel auf. Anstatt, dass sie nach der Silbermedaille im Super G einen Auftrieb bekommen, sind sie eingebrochen. Mittlerweile sind sogar Skisport-Exoten aus Andorra im Abfahrtslauf der Kombination schneller als sämtliche Österreicher; das ist schon fast beschämend.

Sehr überrascht bin ich von der Stärke der Italiener. Gold im Herren Super-G, Silber und Bronze in der Kombination bei den Herren, zudem Bronze in der Abfahrt – damit konnte man nicht rechnen. Kurz um: es hat sich alles ein wenig umgekehrt in diesen ersten WM-Tagen. Es sind Nationen auf dem Podest gelandet, mit denen ich gar nicht gerechnet habe. Selbst die Bronzemedaille des Kroaten Ivica Kostelic im Super G kam für mich bei dieser schweren Strecke überraschend. Das hätte ich nie gedacht.
Die größte Überraschung unter den Fahrern sind aber sicherlich Christof Innerhofer und Elisabeth Görgl. In fünf Jahren im Weltcup schaffte es Innerhofer vier Mal auf das Siegerpodest und hier in Garmisch in drei Rennen drei Mal – das ist schon faszinierend.

Die beiden Goldmedaillen von Elisabeth Görgl waren genau so wenig zu erwarten. Die Österreicherin hat nach ihren Bronzemedaillen bei Olympia in Vancouver bereits Höhenluft geschnuppert. Das hatte sie sich damals selbst wahrscheinlich gar nicht zugetraut. Und jetzt hat sie noch ein Schäufelchen nachgelegt und die anderen haben, bei Vonn und Riesch verletzungs- beziehungsweise krankheitsbedingt, ein Brikett aus dem Ofen genommen – und das hat gereicht, um auf der wirklich sehr selektiven Strecke die Spezialisten zu brüskieren. Respekt.

Etwas mehr erwartet habe ich mir von Bode Miller. Im Super G war bis zu seinem Fehler, bei dem er den Stock verloren hat, auf einem sehr guten Weg und galt für mich als großer Favorit in der Abfahrt. Allerdings hat er insgesamt einen Fehler gemacht. Er hat den Ski zu wenig laufen lassen und sich zu sehr auf das „Engfahren“ der Strecke konzentriert. Früher hat er diesen Fehler nicht gemacht. Mit dem gleichen Problem hatten auch andere zu kämpfen, beispielsweise Michael Walchhofer oder Klaus Kröll in der Abfahrt. Die haben im Ziel vielleicht geglaubt sie sind ein gutes Rennen gefahren und waren dann zwei, drei Sekunden zurück. Aber es ist natürlich auch sehr schwer diese goldene Mitte zu finden zwischen aggressiv fahren und den Ski laufen lassen. Wäre dies aber nicht der Fall, wäre der Skirennsport natürlich sehr einfach.

Gerade bei so schwierigen – für den Zuschauer sehr interessanten – Strecken wie hier in Garmisch, muss man wirklich mit Hirn fahren. Einer der gezeigt hat, wie es geht, ist wieder einmal Aksel Lund Svindal. Ein Mann, der eigentlich nicht Slalom fahren kann, fährt einen Top-Slalom in der Kombination, genau dann, wenn es nötig ist und holt sich überlegen die goldene Medaille. Vielleicht hätte man diese Medaille auch Benni Raich zugetraut, gerade, weil Svindal diese Saison nicht in überragender Form fährt. Aber wenn der Norweger will, dann kann er es immer noch, selbst wenn er gar nicht in Form ist.

 

Stürze sollten einem zu denken geben

Einmal muss ich noch auf die Strecken in Garmisch zu sprechen kommen, vor allem die Kandahar. Die Strecke ist wirklich sehr schön und selektiv gebaut. Einziges Manko ist der Zieleinlauf. Was sich bei der Abfahrt der Herren passierte, sollte zu denken geben. Die zahlreichen Stürze im Zielbereich waren nicht normal. Das Problem ist, dass der Zielbereich nach der Ziellinie ziemlich steil und schnell ist. Erst nach etwa 50 Metern gibt es einen Knick und es wird flach, aber da kommt gleich die Bande. Die Super Gs und die Abfahrten waren für die Athleten so anstrengend, so kraftraubend, dass alle Läufer im Ziel wirklich kaputt waren, inklusive einem Svindal, der körperlich praktisch immer in Höchstform ist.

Zu den Stürzen hat in meiner Ansicht nach auch die Kurssetzung beigetragen. Der Kurssetzer hat den Kurs so gesteckt, dass die Läufer nach der schnellsten Phase des Rennens, dem Freien Fall, mit vollem Tempo in diesen extrakurzen Zielraum hinein fahren. Hätte man das Tor nach dem Freien Fall einfach fünf Meter weiter nach rechts (von oben gesehen) gesetzt und das Tor vorm Ziel noch drei Meter weiter nach links, dann hätte sich das Tempo sicherlich um 10 bis 15 km/h reduziert, die Zuschauer hätten noch etwas mehr Action im Zielbereich gehabt und es wäre sicherlich für keinen einzigen Läufer ein Problem gewesen abzuschwingen. Aber schon im Super G hat man gemerkt, dass Kurssetzer Probleme damit haben können, wenn ein Streckenabschnitt zum ersten Mal gefahren wird, wie es ja im unteren Bereich der Kandahar der Fall ist. Da fehlt vielen einfach noch das Gefühl, wo sollte man das Tempo reduzieren und wo kann man laufen lassen.


 

Zur Person: Marc Girardelli

Marc Girardelli ist einer der erfolgreichsten alpinen Skirennläufer aller Zeiten. Er startete für Luxemburg und ist seit 1987 auch Luxemburger Staatsbürger. Zwischen 1985 und 1993 gewann der gebürtige Österreicher fünfmal den Gesamtweltcup – Rekord bei den alpinen Herren. Der vierfache Weltmeister gewann insgesamt 13 Medaillen bei Großereignissen. Heute organisiert er Ski-Events und hat eine Skimode-Linie.


 

Meine Favoriten in den nächsten Rennen - Team-Event

Jetzt stehen noch drei Rennen auf dem Programm. Als erstes heute um 11 Uhr der Team-Event, das erstmals bei einer WM im Parallel-Riesenslalom ausgetragen wird. Österreich wird von den Damen her sicherlich gut, aber ich glaube, dass schon allein aufgrund der fürchterlichen Leistungen der Österreichischen Herren im Teamevent für sie nicht viel zu holen ist. Eigentlich dachte ich, dass hier die deutschen ziemlich gut abschneiden könnten, weil Felix Neureuther sicherlich bei den Herren einiges kompensieren kann. Allerdings muss man nun sehen, wie sie die Absagen der angeschlagenen Kathrin Hölzl, Viktoria Rebensburg und Maria Riesch verkraften. Der Ausfall der drei besten Fahrerinnen wiegt natürlich schwer. Dennoch ist eine Medaille möglich.

Toll beim Teamevent ist, dass auch kleinere Nationen gute Chancen haben, eine Medaille zu holen. Man hat das letztes Jahr beim Weltcupfinale in Garmisch gesehen, als die Tschechen Österreich im Halbfinale und die Schweiz im Finale schlugen. Das kam total überraschend, genauso wie die Goldmedaille von den deutschen 2005 in Bormio. Das war damals ein riesen Event und super für den Sport, weil niemand damit gerechnet hat. Ich denke, dass dieses Jahr Kroatien, Tschechien oder Italien die großen Nationen durchaus ärgern können. Ich finde es gut, dass man auch sowas den Zuschauern bietet.

 

Die Favoriten bei den Damen

Nach dem Team-Event stehen noch Riesenslalom und Slalom auf dem Programm und hier sind die für mich die Favoriten klar. Beim Riesenslalom der Damen sind natürlich Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg und WM-Titelverteidigerin Kathrin Hölzl die klaren Anwärter auf Gold, gerade bei einer Heim-WM. Aber auch Julia Mancuso sollte man auf dem Zettel haben. Sie kann sich auf den Punkt konzentrieren und auch wenn sie die ganze Saison über nicht ihre Leistung abruft, ist sie da, wenn es um eine Medaille geht. Außerdem könnte auch Lara Gut aus der Schweiz noch eine Leistungsexplosion erfahren. Sie ist ja hier schon zwei Mal Vierte geworden. Zu verlieren hat sie nichts und für sie zählt wahrscheinlich eine beste Zwischenzeit mehr als noch so ein undankbarer vierter Platz. Viel mehr Medaillenkandidaten sehe ich nicht im Riesenslalom.

Für das Slalomrennen der Damen am Samstag zählen für mich Sarka Zharobska aus Tschechien, Marlies Schild aus Österreich und natürlich Maria Riesch zum Favoritenkreis. Die Deutsche ist für mich ganz klar die Fahrerin mit den größten Chancen auf Gold.

 

Die Favoriten bei den Herren

Bei den Herren traue ich im Riesenslalom Carlo Janka durchaus etwas zu. Er hat sich jetzt in den letzten Tagen ein wenig erholt, auf Super-Kombination und Abfahrt verzichtet. Ich denke, dass er als Titelverteidiger ein ganz starkes Wörtchen mitreden wird. Benni Raich darf man natürlich auch nicht vernachlässigen. Ihm ist es mittlerweile egal, was passiert. Hauptsache schnell sein lautet die Devise. Und ich glaube schon, dass er noch schnell sein kann, wenn er sich psychisch richtig vorbereitet. Ivica Kostelic zählt auch hier zu den Favoriten und wird nach seinem kurzen Erholungsurlaub in der Heimat und dem Verzicht auf die Abfahrt und die Super-Kombination gestärkt in die kommenden Rennen gehen.

Bei den deutschen sehe ich hier eher kaum Möglichkeiten eine Medaille zu holen. Ich glaub nicht, dass Felix Neureuther große Chancen hat. Gerade auch, weil die Pistenverhältnisse hinten raus bei diesem Wetter nicht optimal sind. Der Riesenslalom wird insofern sicherlich auch eine Frage der Startnummern sein. Es kann gut sein, dass die Nummern eins, zwei oder drei ganz klare Vorteile bieten gegenüber den Nummern 10 bis 20.

Im Slalom traue ich dem Felix einiges zu. Er hat bewiesen, dass er zu den weltbesten Slalomfahrern gehört. Aber der Druck ist natürlich enorm auf dem Gudiberg, wo er letztes Jahr gewonnen hat, auf seinem Trainingshang. Ich denke, dass Jean Babtiste Grange, der jetzt zwei Chancen ausgelassen hat Medaillen zu gewinnen, hier ebenfalls ganz stark mitmischen wird. Aber auch Raich hat durchaus Chancen, weil es ein schwerer Hang ist und man ihn auch taktisch fahren muss. Das kann der Benni. Und natürlich der Gesamtweltcupführende Ivica Kostelic. Er ist für mich der Topfavorit auf den Titel, schließlich führt er auch die Weltcup-Disziplinenwertung im Slalom an. In den erweiterten Favoritenkreis gehört für mich auch Manfred Pranger. Ich kann mir vorstellen, dass Pranger den anderen Spitzenläufern aufzeigen kann, wer der Chef ist.

Ich freue mich auf spannende Rennen und bin gespannt, an wen die nächsten Medaillen vergeben werden.

Bis zum nächsten Mal,

Euer Marc Girardelli

Mehr zu Marc Girardelli erfahrt Ihr unter: www.marcgirardelli.com

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