Das große Interview mit Heike Drechsler – Aus der Karriere herausgewachsen
- Derk Hoberg
Unser Foto zeigt Heike Drechsler bei ihrem Goldsprung in Sydney, 2000.
netzathleten: Hallo Frau Drechsler, wir alle kennen Sie noch als Sportlerin, was machen Sie momentan?
Heike Drechsler: Ich arbeite für die Krankenkasse Barmer GEK und bin dort im betrieblichen Gesundheitsmanagement tätig. Wir analysieren Firmen, beraten diese, organisieren Gesundheitstage und viele weitere Projekte. Darunter auch Aktionen wie „Deutschland bewegt sich“, in Zusammenarbeit mit dem ZDF. Im Rahmen dieser Präventionskampagnen wollen wir aufklären und den Leuten sportliche Angebote aufzeigen, die sie in ihrem regionalen Umfeld wahrnehmen können.
netzathleten: Wie schwer ist es Ihnen gefallen, nach Ihrer langen und gleichermaßen erfolgreichen Sportlerkarriere vom Leistungssport loszulassen?
Heike Drechsler: Das stimmt, ich hatte wirklich eine sehr lange Karriere. Mir ist es aber eigentlich sehr leicht gefallen loszulassen. Der Rücktritt 2004, nach 27 Jahren Leistungssport, war ja nur logisch. Man merkt selbst, dass man nicht mehr so leistungsfähig ist, und auch das Verletzungsrisiko steigt. Ich habe mich schon früh auf mein Berufsleben danach vorbereitet. Ich denke, ich bin sehr „gesund“ aus der sportlichen Karriere gekommen.
netzathleten: Sie verzichteten aufgrund fehlender Spitzenergebnisse auch auf den großen Karriereabschluss bei Olympia in Athen 2004…
Heike Drechsler: Die Teilnahme dort hatte ich mir eigentlich noch als Ziel gesetzt. Als Leistungssportler braucht man ja immer Ziele, gerade auch nach meiner Achillessehen-Operation im Jahre 2003. Es wäre schön gewesen, wenn Athen noch geklappt hätte, und ich war auch ein wenig traurig, dort nicht starten zu können. Aber letztlich regenerierte ich nicht mehr so schnell wie in früheren Jahren. Ich habe die Spiele dann als Zuschauerin vor Ort genossen und mich dann auch gar nicht so traurig gefühlt.
netzathleten: Wenn Sie zurückdenken, an welche Momente ihrer aktiven Karriere erinnern Sie sich denn heute am häufigsten?
Heike Drechsler: Der erste Moment liegt weit zurück, im Jahr 1983, als ich zum ersten Mal Weltmeisterin wurde. Das war ein ziemlicher Kampf. Ich hatte starke Gegnerinnen und war sehr jung. Irgendwo wollte ich auch einen guten Einstand in der großen DDR- Mannschaft damals haben, deshalb war dieser erste Erfolg eine große Bestätigung. Der zweite Moment ist der zweite Olympiasieg, 2000 in Sydney. Ich hatte es mir natürlich gewünscht, nochmal ganz oben zu stehen, habe mich selbst aber nicht zu sehr unter Druck gesetzt. Ich habe den Sieg dann wirklich in allen Zügen genossen. Das waren tolle Spiele damals in Sydney. Australien ist wirklich ein tolles Land und für mich hat einfach alles gestimmt. Da schwebte ich wirklich auf Wolke Sieben.
netzathleten: Die harten und endlosen Trainingsstunden sind also vergessen?
Heike Drechsler: Ich habe mich, Gott sei Dank, nie quälen müssen im Training. Ich war immer mit Leidenschaft dabei. Auch für die Übungen, die ich eigentlich nicht so gern mochte, Krafttraining zum Beispiel, habe ich einen Weg gefunden, dass es mir am Ende Spaß gemacht hat. Ich bereue keine Minute des Trainings, auch nicht die Momente, in denen gar nichts funktioniert hat.
netzathleten: „Einen Weg gefunden, dass es Spaß gemacht hat“ ist eine schöne Überleitung zu Ihrem Buch „Fit mit Kids“. Da geht es ja auch darum, Kindern Spaß an der Bewegung zu vermitteln. Warum ist Ihnen das so ein besonderes Anliegen?
Heike Drechsler: Das Thema liegt mir generell sehr am Herzen, weil ich häufig in Schulen unterwegs bin. In meiner Heimatstadt kämpfen die Kinder zweier Grundschulen um den Heike-Drechsler-Pokal, der Gewinner bekommt einen Trainings-Workshop mit mir zur Belohnung. Dort konnte ich in den letzten fünf Jahren schon eine große Entwicklung der Kinder beobachten. Ihre Koordination und die motorischen Fähigkeiten sind besser geworden. Kinder, die sich kaum noch bewegen, spüren hingegen ihren Körper fast gar nicht mehr. Dazu haben sie häufig Gewichtsprobleme. Sie haben Probleme, die viele Eltern gar nicht nachvollziehen können, weil sie selbst noch ganz anders aufgewachsen sind. Dahin wollen wir zurück. Klettern, balancieren über einen Baum. Ganz einfache Sachen, die man in den Alltag einbauen kann. Übungen, die Kindern und Eltern gleichermaßen Spaß machen.
netzathleten: Woran liegt das, dass sich so viele Kinder kaum noch bewegen? Eigentlich toben Kinder doch gerne…
Heike Drechsler: Ich denke, das ist ein gesellschaftliches Problem. Die Kinder sehen, dass sich die Eltern nicht bewegen. Das Schlimmste ist doch, wenn Eltern sagen, geht doch mal raus spielen und dann selbst vor dem Fernseher sitzen. Die Kinder sehen das doch und finden das auch interessanter als Bewegung. Und wenn man sich nie viel bewegt hat, weiß man auch nicht, dass es einem besser geht, wenn man aktiv ist. Es ist schade, dass die Motivation heutzutage für das eigene Handeln nur für den Weg zum Kühlschrank in der Küche reicht. Somit ist Übergewicht auch ein Stück weit Bequemlichkeit.
netzathleten: Ein Grund, das Buch zu schreiben, ist auch Prävention?
Heike Drechsler: Ja, wenn man bedenkt, welche Krankheiten durch Übergewicht entstehen können. Das sind ja auch enorme Belastungen, die auf Familien zu kommen können, wenn ein Kind schon früh an Diabetes erkrankt.
netzathleten: Wie haben Sie denn die Spiele für dieses Buch zusammengetragen?
Heike Drechsler: Viele Spiele haben wir natürlich in unserer Jugend auch selbst gespielt. Wir hatten zum Beispiel riesige Kirschbaumplantagen vor der Haustür, da sind wir oft raufgeklettert und haben Kirschen geklaut. Kleine Abenteuer für uns. (lacht) Wir sind dann auch ganz tief in unsere Jugend gegangen, was wir damals gemacht haben und haben einfach Ideen gesammelt. Kinder haben einen Bewegungstrieb, bis zu einem gewissen Alter. Den muss man erhalten, mit Kreativität und eben mit dieser Abenteuerlust, die wir z.b. damals auf den Kirschbäumen verspürt haben.
netzathleten: Ihr Sohn ist aus dem Gröbsten heraus, aber haben Sie mit ihm früher viele dieser Spiele aus dem Buch gespielt?
Heike Drechsler: Er ist ja quasi im Stadion aufgewachsen, insofern ja. Es war für mich erstaunlich, wie Kinder Bewegungen schon im jüngsten Alter nachahmen können. Ich erinnere mich: Da trainierten wir mal Speerwerfen und er nahm sich einen kleinen Stock und hat sich wie ein großer Speerwerfer hingestellt. Dann ist er mit diesem spezifischen Kreuzschritt der Speerwerfer angelaufen, den Arm nach hinten und dann flog der Stock. Ich war richtig erstaunt, wie gut er das gemacht hat.
netzathleten: Wie wichtig war die Zusammenarbeit mit Diplom-Sportlehrerin Monika Zilliken für das Buch?
Heike Drechsler: Sie hat natürlich sehr viel Input geliefert, von der wissenschaftlichen Ebene her. Für was ist Motorik gut, für was Kraft und Ausdauer? Das hat sie fundiert untermauert. Das war auch für mich interessant, in manchen Themengebieten mal in die Tiefe zu gehen. Wir haben aber aufgepasst, dass das Buch nicht zu wissenschaftlich wird.
netzathleten: Ernährung ist auch ein Kapitel des Buches…
Heike Drechsler: Ein ganz wichtiges Thema, das einfach dazu gehört. Eine gesunde Ernährung ist entscheidend für die Entwicklung des Körpers. Unsere Nahrung heute ist ja sehr gehaltvoll, dazu noch viele stark zuckerhaltige Getränke. Wenn man sich dann den ganzen Tag über nicht bewegt, dann kommen die Gewichtsprobleme fast von ganz alleine.
netzathleten: Wie informieren Sie sich denn über Ernährung?
Heike Drechsler: Wir haben bei uns in der Firma natürlich auch viele Ernährungsberater, mit denen ich mich intensiv ausgetauscht habe. In unserem Buch hat uns Ernährungswissenschaftlerin Ursula Winzig tatkräftig beim Ernährungskapitel unterstützt und geschildert, worauf es bei einer ausgewogenen Ernährung ankommt.
netzathleten: Haben Sie vielleicht noch einen speziellen Tipp für unsere Leser, wie man Kinder dazu bewegt, wenigstens alles zu probieren? Ich denke, das können viele junge Eltern bestätigen, wie schwer das Thema Essen teilweise beim Nachwuchs ist.
Heike Drechsler: Kreativ sein, würde ich sagen. Mein Sohn war da auch sehr wählerisch anfangs. Aber er mochte Kartoffelpüree. So habe ich dann irgendwann begonnen, auch andere Gemüsearten zu pürieren. Und man sollte auch immer wieder gesunde Dinge anbieten. Irgendwann schmeckt es den Kleinen schon. Man darf dabei aber nichts erzwingen, damit erreicht man wohl letztlich das Gegenteil.
netzathleten: Eine letzte, etwas persönliche Frage zum Schluss: Hand aufs Herz, inwieweit ärgert es Sie heute noch, dass Sie bei ihrem Fabelsprung auf 7,63 Meter (1992 in Sestriere, diese Weite wäre noch heute Weltrekord) 0,1 Meter pro Sekunde zu viel Rückenwind hatten – 2,00 Meter pro Sekunde sind erlaubt, Sie hatten 2,1. Dadurch zählte der Weltrekord nicht.
Heike Drechsler: Na klar ärgert man sich, wahrscheinlich ärgere ich mein ganzes Leben lang darüber (lacht). Ich denke, den Italienern ging es damals darum, dass sie den Ferrari nicht hergeben mussten. Bei diesem Meeting hätte es für einen Weltrekord einen Ferrari gegeben. Ich meine, es wurden zunächst ja nur 0,01 Meter pro Sekunde zu viel Wind als erlaubt gemessen. Das wurde später auf 0,1 aufgerundet, das hatte ich so vorher auch noch nicht erlebt. Mit diesem minimalen Unterschied kann man nicht mal eine Kerze auspusten. Aber es hat nicht sollen sein und vielleicht ist es für die jüngeren Springerinnen auch besser so. An dieser Weite würde man sich sonst noch lange die Zähne ausbeißen.
netzathleten: Sie und viele andere wissen ja, wie weit Sie in der Lage waren zu springen und immerhin sind Sie zur Weitspringerin des Jahrhunderts gewählt worden. Dieser Trost bleibt. Ich danke Ihnen, für das nette Gespräch, wünsche Ihnen viel Erfolg mit ihrem Buch und dass Sie damit vielen Familien zu einem aktiverem Leben verhelfen.
Das Gespräch führte Derk Hoberg
Zum Buch: Fit mit Kids - Bewegungsspaß für die ganze Famile
Verlag: Südwest
Ausgabeart: Paperback, Klappenbroschur, 160 Seiten, 17,2 x 23,5 cm
Preis: € 14,95 [D] / € 15,40 [A] / CHF 26,90* (empf. VK-Preis)
ISBN: 978-3-517-08590-6