Deutsche Fußball-Sternstunden – Die EM-Titel 1972, 1980 und 1996
- Marco Heibel
EM 1972 – Goldener Fußball der Goldenen Generation
Der Mannschaft von 1972 haftet beinahe etwas Mythisches an. Obwohl es sich fast um die identische Truppe handelte, die zwei Jahre später in Deutschland Weltmeister werden sollte, gilt die Elf, der 1972 der Gewinn der Europameisterschaft gelang, als die (bislang) beste in der deutschen Fußballgeschichte.
Die prägenden Persönlichkeiten im deutschen Team sind schnell benannt: Torhüter Sepp Maier, Torjäger Gerd Müller und das kongeniale Gespann Libero Franz Beckenbauer und Regisseur Günter Netzer, die sich in der Spielgestaltung abwechselten – für die damalige Zeit eine Revolution.
Dabei war der Weg zum Titel zunächst steinig. In die Qualifikation startete die deutsche Elf mit einem 1:1 zu Hause gegen die seinerzeit bestenfalls zweitklassige Türkei. Nach dem holprigen Beginn qualifizierte sich das Team von Bundestrainer Helmut Schön aber letztlich souverän für das Viertelfinale.
Dort wartete mit England ein richtige „Brocken“. Hinzu kamen die schlechten Vorzeichen: Deutschland hat in fünf Anläufen nie auch nur ein Unentschieden in Wembley erzielen können. Die Nationalspieler von Schalke 04 waren wegen des Bundesliga-Skandals gesperrt, die Kölner Stammspieler Wolfgang Overath und Wolfgang Weber waren verletzt. Auch die Akteure von Bayern München und Borussia Mönchengladbach, die den Kern der 1974er Weltmeistermannschaft bilden sollten, machten in der Bundesliga gerade eine Krise durch und waren mental angeknackst. Vor dem Anpfiff soll Günter Netzer zu Franz Beckenbauer gesagt haben, dass man mit einem 0:5 noch gut bedient sei.
Am Ende wurde der 29. April 1972 aber zu einem historischen Tag für den deutschen Fußball. In einem turbulenten Spiel ging Deutschland durch den erst 20-jährigen Uli Hoeneß früh in Führung. In der Folge entwickelte sich ein munteres Spiel mit Chancen auf beiden Seiten. Nach einem Fehler von Franz Beckenbauer kam England in der 77. Minute zum Ausgleich, für die Deutschen immer noch ein gutes Ergebnis für das Rückspiel. Daher drängten die „Three Lions“ auf das 2:1 – und wurden zwei Mal eiskalt ausgekontert: Günter Netzer per Elfmeter und Gerd Müller erhöhten durch einen Doppelschlag kurz vor Schluss auf 3:1. Im Rückspiel zwei Wochen später in Berlin brachten die Deutschen dann routiniert ein 0:0 über die Runden. Die Qualifikation für das Endturnier in Belgien war geschafft.
Im Halbfinale von Antwerpen spielte Deutschland den Gastgeber an die Wand. Das einzige Haar in der Suppe war, dass der Sieg mit 2:1 (2 Tore von Gerd Müller) zu niedrig ausfiel. Im Finale von Brüssel wartete die Sowjetunion, welche die DFB-Elf drei Wochen zuvor bei der Einweihung des Münchner Olympiastadions durch vier Müller-Tore in mit 4:1 in die Schranken gewiesen hatte. In Brüssel hieß es nicht minder deutlich 3:0 (2xMüller, 1xWimmer).
Die siegreiche Finalelf von 1972:
Sepp Maier – Horst-Dieter Höttges, Georg Schwarzenbeck, Franz Beckenbauer, Paul Breitner – Uli Hoeneß, Günter Netzer, Herbert Wimmer – Jupp Heynckes, Gerd Müller, Erwin Kremers
Trainer: Helmut Schön
EM 1980 – Glanzlos, aber erfolgreich
Acht Jahre später war vom Glanz früherer Tage nicht mehr viel übrig geblieben. Auf die Goldene Generation der 1970er folgte eine Mannschaft, die vor allem die „deutschen Tugenden“ Kraft und Einsatz in die Waagschale werfen konnte. Der baumlange Mittelstürmer Horst Hrubesch, die Abwehrrecken um Kapitän Bernard Dietz und Karlheinz Förster oder Dauerläufer Hans-Peter Briegel kamen eher aus der Abteilung „Kampf“. Für Esprit waren vor allem Bernd Schuster, Hansi Müller und Karl-Heinz Rummenigge zuständig.
Das Ticket zur Endrunde in Italien (erstmals waren acht Teams dabei) löste Deutschland souverän. Vier Siege und zwei Remis standen gegen die Türkei, Wales und Malta zu Buche. In der Gruppe A überzeugte Deutschland nur phasenweise, zog aber durch ein 1:0 gegen die Tschechoslowakei (Tor: Rummenigge), ein 3:2 gegen die ebenfalls im Umbruch befindlichen Niederländer (Dreierpack von Klaus Allofs; Länderspieldebüt für Lothar Matthäus) und ein 0:0 gegen Griechenland letztlich ungefährdet als Gruppenerster ins Finale ein.
Im Endspiel von Rom traf man auf Belgien, das damals eine starke Mannschaft beisammen hatte. Deutschland ging in einem ereignisarmen Spiel in der 10. Minute durch den 31-jährigen Hamburger Horst Hrubesch, der erst kurz vor der EM debütiert hatte, in Führung. Dem Ausgleich von René Vandereycken in der 75. Minute folgte drei Minuten vor dem Abpfiff das 2:1-Siegtor, abermals von Horst Hrubesch, per Kopf nach einer Ecke von Karl-Heinz Rummenigge.
Letzerer wurde 1980 zu „Europas Fußballer des Jahres“ gewählt, vor Bernd Schuster, der als Entdeckung des Turniers galt und kurz darauf zum FC Barcelona wechselte.
Die siegreiche Final-Elf von 1980:
Harald Schumacher – Manfred Kaltz, Uli Stielike, Karlheinz Förster, Bernard Dietz - Bernd Schuster, Hans-Peter Briegel (55. Bernd Cullmann), Hansi Müller, Karl-Heinz Rummenigge - Horst Hrubesch, Klaus Allofs
Trainer: Jupp Derwall
EM 1996 – Ein Sieg der Mentalität
16 Jahre vergingen zwischen dem zweiten und dem dritten Titel. Die Euro 1996 in England war der größte Triumph des vielgescholtenen Bundestrainers Berti Vogts. Das Gerüst bildeten sechs Weltmeister von 1990, die „Chefs“ im Team waren Kapitän Jürgen Klinsmann und Abwehrchef Matthias Sammer. Im Verlauf des Turniers zum Star wurde aber Dieter Eilts.
Die Qualifikation nach der verpatzten WM 1994 war alles andere als ein Spaziergang. Ausgerechnet die Bulgaren, an denen Deutschland beim Weltturnier in den USA gescheitert waren, warteten in der Quali-Gruppe. Durch ein 3:1 am letzten Spieltag im direkten Duell in Berlin löste die Vogts-Elf aber das Ticket nach England.
Dort bekam man es in der vermeintlich schwersten Gruppe mit Vize-Weltmeister Italien und den Geheimfavoriten aus Tschechien und Russland zu tun. Einem lockeren 2:0 gegen die Tschechen (Tore: Ziege, Möller) folgte ein hart erkämpfter 3:0-Sieg gegen die Russen (2xKlinsmann, 1xSammer). Mit dem Viertelfinalticket in der Tasche ging es im letzten Gruppenspiel gegen die Italiener. Die Südländer brauchten einen Sieg und drängten 90 Minuten auf das deutsche Tor. Nach einem verschossenen Elfmeter von Zola und unzähligen ausgelassene Großchancen endete die Partie 0:0. Deutschland war als Gruppenerster weiter.
Das Viertelfinale gegen Kroatien war das ruppigste Spiel des Turniers. Vor allem die Südosteuropäer setzten auf Härte und brachten sich so selbst um den Erfolg ihrer Arbeit. Deutschland siegte 2:1 durch Tore von Klinsmann (Foulelfmeter) und Sammer.
Das Halbfinale gegen England war das beste Spiel der deutschen Mannschaft und das spannendste des gesamten Turniers. Weil die britische Yellow Press die guten alten Weltkriegs-„Kamellen“ herausholte, war die Stimmung vor dem Spiel entsprechend aufgeheizt. Das frühe 0:1 durch EM-Torschützenkönig Alan Shearer konterte Stefan Kuntz fast umgehend. Danach entwickelte sich ein chancenreiches Spiel, vor allem in der Verlängerung (mit Golden Goal) waren die Engländer dichter am Sieg. Im Elfmeterschießen machten beide Teams ihrem Ruf alle Ehre: Je fünf Akteure beider Teams trafen, ehe Gareth Southgate verschoss. Andreas Möller besiegelte mit seinem Treffer vom Punkt den deutschen Finaleinzug.
Im Endspiel von Wembley wartete mit Vorrundengegner Tschechien ein alter Bekannter auf die Vogts-Elf. Deutschland war Favorit und die bessere Mannschaft, doch kurz nach der Halbzeit gingen die Osteuropäer durch einen unberechtigten Foulelfmeter, verwandelt durch Patrik Berger, in Führung. In seiner Not brachte Berti Vogts in der 69. Minute mit Oliver Bierhoff einen dritten Stürmer. Der Torjäger von Udinese Calcio, der im Turnier kaum eine Rolle gespielt hatte, erzielte erst in der 73. Minute den Ausgleich und dann in der Verlängerung – durch das erste Golden Goal der Fußballgeschichte – den 2:1-Siegtreffer.
Die siegreiche Final-Elf von 1996:
Andreas Köpke – Thomas Strunz, Matthias Sammer, Markus Babbel, Thomas Helmer – Dieter Eilts (46. Marco Bode), Thomas Häßler, Christian Ziege, Mehmet Scholl (69. Oliver Bierhoff) – Jürgen Klinsmann, Stefan Kuntz
Trainer: Berti Vogts