„Wenn wir Meister werden, läute ich die Glocken“ – Interview mit Schalke-Pfarrer Filthaus (Teil 2)
- Stefan Petri
Die Kapelle gibt es jetzt seit August 2011, also seit über 10 Jahren. Damals war sie ein absolutes Novum. Was hat sich in der Zeit verändert?
Der Zustrom hat sich nicht verändert, das Interesse ist gleichbleibend. Immer wieder kommen neue dazu, manche auch mehrfach. Menschen, die sich haben trauen lassen, oder sogar manche, die schon bis zu drei Kinder in der Arena getauft haben. Es spricht sich immer mehr herum und geht in der Tat immer weiter.
Wie sieht es mit Fans anderer Vereine aus?
Ich hatte mal eine Familie aus Köln, deren Sohn in jungen Jahren auf einer Urlaubsreise tödlich verunglückt ist. Das Spiel auf Schalke wäre sein erstes Auswärtsspiel als Fan gewesen. Da haben mich der Vater und die Schwester des Verstorbenen gebeten, mit ihnen am Spieltag eine Andacht in der Kapelle zu halten. Das fand ich sehr bewegend.
Als Robert Enke starb, hatten wir auch ein Bild und eine Kondolenzliste ausgelegt. In diesen Ernstfällen des Lebens spielt Vereinszugehörigkeit keine Rolle mehr, es zählt nur noch der Ort. Dann können wir in der Kapelle auch mit anderen Menschen etwas gestalten, völlig unabhängig vom Verein.
Ansonsten gibt es unwahrscheinlich viele Führungen in der Arena, die alle an der Kapelle vorbeikommen. Da wird auch immer die Kapelle gezeigt. Es sind logischerweise auch Fans anderer Vereine dabei, die dann manchmal ganz mutig das schwarzgelbe Trikot oder das Bayerntrikot anziehen. Und die erleben, dass es hier eine solche Kapelle gibt. Auf dieser Ebene sind also auch täglich Kontakte zu anderen Vereinsmitgliedern da.
Gibt es Reaktionen von Mannschaft und Trainerstab? Kommen auch Spieler in die Kapelle?
Sie können, wenn sie wollen. Die Kapelle ist an den Spieltagen für die, die sich im Sicherheitsbereich aufhalten, geöffnet. Ich bin an dem Tag nicht da, da ich selbst als Fan in der Südkurve bin. Aber geöffnet ist sie. Ich weiß von unserem ehemaligen Trainer Rangnick, dass er in seiner ersten Zeit immer gerne in die Kapelle ging, um vor dem Spiel zur Ruhe zu kommen. Oder Mike Hanke, der ging früher ebenfalls gerne rein.
Ich habe vor kurzem Christoph Metzelder getroffen, und der sagte mir, dass er es schön findet, dass es die Kapelle gibt und er einen großen Respekt davor hat. Das hat mich sehr gefreut, dass bei aktiven Spielern das Bewusstsein da ist, dass die Kapelle da ist und sie auch von Spielern respektiert wird. Ansonsten sind sie ja nur zum Spiel in der Arena und danach gleich wieder weg, da gibt es also keinen direkten Bezug. Aber wie gesagt: Manche nehmen das wahr und können damit auch etwas anfangen.
Jetzt haben wir vorher darüber gesprochen, wie Sport und Religion zusammenpasst. Gibt es auch negative Reaktionen von Fans, die sagen, dass Religion beim Fußball nichts zu suchen hat? Haben Sie so etwas schon erlebt?
Das hab ich nicht direkt selbst so erlebt. Aber ganz klar: Kirche und Religion ist in unserer Zeit nicht unstrittig. Diejenigen, die davon sowieso nichts halten, werden auch wenig begeistert davon sein, dass es die Kapelle im Stadion gibt. Also spiegelt sich hier der gesellschaftliche Stellenwert wider. Wobei auch manche dadurch, dass es jetzt diese Kapelle gibt, eher etwas Kirchliches in Anspruch nehmen, als wenn es sie nicht gäbe. Das muss man auch sagen.
Aber gerade manchen Hardcorefans kann ja alles gar nicht ursprünglich und elementar genug sein. Die wollen keine Loge, sondern am liebsten im alten Parkstadion während des Spiels nass werden. Die finden das dementsprechend überhaupt nicht gut. Als Marcelo Bordon noch gespielt hat, gab es einmal ein Banner, das ihn sehr gekränkt hat. Bordon hatte ja einen Spielerbibelkreis und hat seinen Glauben immer sehr offensiv vertreten. Auf dem Banner stand sinngemäß: „Ihr sollt weniger beten und dafür mal anständig Fußball spielen“. Das hat ihn sehr gekränkt. Es gibt also auch Fans, die das für überflüssig halten. Das muss man sehen und damit muss man umgehen. Aber das ist mein alltägliches Leben als Pfarrer.
Aber im direkten Kontakt habe ich in den drei Jahren noch überhaupt keine Ablehnung erfahren, im Gegenteil: Es gab viel Zuspruch, auch von Menschen, die anfangs eher skeptisch waren. Aber wenn man ihnen die Dinge erklärt und verdeutlicht, finden sie einen Zugang und halten es auch für sinnvoll.
Es gibt mittlerweile auch in anderen Stadien kleine Kapellen bzw. Andachtsräume? Gibt es Kontakt? Tauschen sie sich mit den Verantwortlichen dort aus?
Es gibt in Berlin eine Kapelle. Auch aus Frankfurt wurde ich einmal angerufen und gefragt, was wir denn so machen, weil sie so etwas auch neu aufbauen wollten. Da gab es also durchaus schon Kontakte. Auch in Warschau soll zur Europameisterschaft im Stadion eine Kapelle eingerichtet werden. Es ist ja so: Die Kapelle bezahlt der Verein und gibt den Kirchen praktisch das Hausrecht, die wiederum den Pfarrer stellen. In Mainz sollte es im neuen Stadion auch eine Kapelle geben, aber man konnte sich innerhalb der Kirchen nicht darüber einigen, wer die Stelle besetzt, und wer sie bezahlt.
Haben Sie dieses Jahr zu Weihnachten Veranstaltungen?
Nein, zu Weihnachten gibt es keine Veranstaltungen. Wir hatten das im letzten Jahr geplant, aber es ist sehr aufwändig, zum Beispiel wegen dem Wachdienst. Es ist letztes Jahr dann wegen der Elemente gescheitert, weil so viel Schnee fiel, dass man gar nicht mehr reingehen konnte. Technisch ist es auch nicht so einfach, die Arena ist ja jetzt schon umgebaut für den Biathlon-Wettbewerb auf Schalke.
Letzte Frage: Sie sind selbst auch Schalke-Fan. Was ist diese Saison möglich?
Also….nach dem Spiel gegen Bremen (5:0, Anm. d. Red.) hätte ich Champions-League gesagt, heute Morgen (nach der Pokalniederlage in Mönchengladbach, Anm. d.Red.) bin ich etwas bescheidener. Ich hoffe, dass wir unter die ersten fünf kommen werden und international spielen. Vielleicht auch Champions-League, aber alles andere als die ersten fünf wäre eine Enttäuschung. Mein großer Traum war, dass wir in meiner aktiven Zeit – ich bin hier noch zwei Jahre Pfarrer – einmal die Schale holen. Das wünscht sich jeder Gelsenkirchener. Sollten wir Meister werden, würde ich natürlich auch alle Kirchenglocken läuten lassen.
Pfarrer Filthaus, vielen Dank für das Gespräch!
Im ersten Teil unseres Interviews erzählt Filthaus, wie er zu der Stelle kam, was seine Aufgaben sind, und ob in der Kapelle auch für Schalker Siege gebetet wird.