„Man redet immer zuerst über Schalke“ – Interview mit Schalke-Pfarrer Filthaus (Teil 1)
- Stefan Petri
Betreut wird der Andachtsraum zurzeit vom evangelischen Pfarrer Norbert Filthaus. Der 63-jährige ist selbst glühender Schalke-Fan und dementsprechend geknickt, als wir ihn zum Interview erreichen – schließlich hat sein Verein am Vorabend im Pokal 1:3 in Mönchengladbach verloren…
Pfarrer Filthaus, Sie sind „ganz normaler Gemeindepastor“, betreuen aber noch nebenher die Kapelle in der Veltins-Arena.
Ja, meine Kirche (die evangelische Kirchengemeinde Buer-Erle, Anm. d. Red.) lag direkt neben dem Park-Stadion, also jetzt auch neben der Arena. Ich bin hier seit 33 Jahren evangelischer Gemeindepfarrer, und seit drei Jahren ist meine Zusatzaufgabe die Betreuung der Kapelle auf Schalke.
Wie sind Sie denn zu dieser Aufgabe gekommen? Hat der Verein gefragt?
Die Kirche hat in diesem Fall die Hoheit. Mein Dienstvorgesetzter hat mich gefragt, ob ich das nicht machen wolle, als der Vorgänger in den Ruhestand ging. Er hat geguckt, wer von seinen Pfarrern der verrückteste Schalke-Fan ist, und kam eindeutig auf mich. Das entscheidet also die Kirche, da hat Schalke keinen Einfluss. Ich musste aber natürlich einen Antrittsbesuch beim Präsidenten machen.
Ich bin früher schon zu einzelnen Spielen gegangen und habe mir dann Dauerkarten besorgt, als die Arena gebaut wurde – das konnte ich ja hautnah miterleben. Hier liegt Schalke in der Luft, das kann man sich als Außenstehender gar nicht vorstellen. Auch für den Gemeindepfarrer und dem Kontakt zu den Menschen spielt das eine große Rolle. Man redet mit allen immer zuerst über Schalke. Die allgemeine ist davon geprägt, ob euphorisch oder traurig wie heute Morgen.
Wie sieht Ihr Aufgabenbereich aus?
Es ist eine recht umfangreiche Tätigkeit. Die Kapelle ist eine Kirche, und Kirche ist grundsätzlich offen für jeden. Aber man braucht eine gewisse Motivation, um diesen für eine Kirche sehr exotischen Ort auszuwählen. Viele haben eine Freude daran, hier ihre Kinder taufen zu lassen. Aber auch Trauungen gibt es. Jetzt ist gerade eine Goldene Hochzeit geplant, mit der die Kinder ihre Eltern, beide Schalke-Fans, überraschen – wobei sie die Sorge haben, dass der Opa sich vor lauter Freude gar nicht mehr einkriegt.
Außerdem gibt es sehr viele Gruppen, die den Besuch dann auch mit anderen Sehenswürdigkeiten verbinden. Gemeindegruppen, Schützen, Chöre, Pfarrkonvente, oder auch viele Konfirmandengruppen, die das hier als Teil ihres Unterrichts haben. Es kommen auch Messdienergruppen und sehr viele Schulklassen, die das Thema „Kirche und Sport“ haben, und es mit mir dann hautnah vor Ort bearbeiten. Ich zeige immer ein bisschen von der Arena und der Kapelle, und diskutiere dann mit ihnen über ihre Fragen. Ich bin jede Woche mehrmals da, darüber hinaus fast jedes Wochenende. Es ist also ein ganz munterer, kirchlicher Ort –und für mich auch ganz schön viel Arbeit.
Sie haben das Thema „Sport und Kirche“ erwähnt. Wie passen Sport und Religion zusammen?
Aus kirchlicher Seite ist der Mensch, wie er von Gott gedacht ist, immer auch ein spielender Mensch. Nicht nur die Aktiven – natürlich hat der Mensch einen Körper von Gott bekommen, den er auch trainieren und bewegen soll. Aber auch passiv ein Spiel zu sehen, das spannend ist, interessant, immer wieder neu und nie langweilig wird: Das ist aus meiner Sicht ein Gottesgeschenk. Von daher ist man hier schon am richtigen Ort, um am Menschen nicht nur Arbeit und Zweck zu sehen, sondern sich auch für ein Spiel zu begeistern. Die Gemeinschaft ist von kirchlicher Seite auch ganz wichtig. Es gibt kaum etwas, das Generationen und auch soziale Schichten noch so verbindet wie der Fußball. Als Kirche an einem solchen Ort, der Menschen erfreut und verbindet, einfach da zu sein, das finde ich ganz toll.
Wie muss man sich das vorstellen? Ist die Kapelle rund um die Uhr geöffnet, nur zu Heimspielen, oder nur am Sonntag?
Schade, dass sie jetzt nicht vor Ort sind und sich das angucken können. Das hängt an der Lage der Kapelle, die Vor- und Nachteile hat. Sie liegt zentral dort, wo die Spieler ihre Kabinen haben. Dort geht es in den Tunnel und davor ist auch die Mixed-Zone. Zentraler geht es also nicht. Gleichzeitig ist es aber auch ein Hochsicherheitsbereich, in den man an Spieltagen als Außenstehender gar nicht hineinkommt. Es wäre zu unruhig und sicherheitsmäßig auch nicht möglich. Das ist ein Nachteil, es wäre schon schön, wenn man gerade auch an Spieltagen einen Ort hätte, an den Fans zum Reden oder zu einer Andacht kommen könnten. Das geht bei uns so nicht.
Aber durch uns Pfarrer (Filthaus und sein katholischer Kollege Georg Rücker, Anm. d. Red.) kann über einen telefonischen oder E-Mail-Kontakt, oder auch über den Verein, jeder hineinkommen. Ich bin sozusagen der Passepartout für diese Kapelle, mit mir kann man reingehen. Ich gehe mit Einzelpersonen hinein oder halte Gottesdienste mit Gruppen. Der zentrale Ort hat auch einen symbolischen Wert. Genau da, wo das Zentrum ist, hat der Verein einen Ort geschaffen, der anders ist als der ganze Trubel. Eine Oase, in der es andere Dinge und andere Werte gibt. Die Begeisterung für das Spiel wird nicht widerrufen, aber es wird deutlich: Es gibt auch noch andere Dimensionen im Leben.
Der Raum ist nicht blau-weiß wie alles andere hier, sondern schwarz-weiß gehalten. Man geht durch ein Kreuz herein, das auf Ostern hinweist. Der Verein zeigt auch sich selbst: Wir relativieren uns. Es ist ganz toll, dass sich alles um uns dreht, aber Leben kann auch anders sein, und auch dafür haben wir einen Ort. Man hat ja auch gesehen, wie nötig es im Fußballbereich ist, zur Besinnung zu kommen. Damals Enke und jetzt auch Rangnick oder Rafati mit der Burn-Out -Thematik. Wir haben in dieser Fußballwelt, die sehr stark vom Kommerziellen bestimmt ist, noch eine andere Dimension, die so zu ihrem Recht kommt.
Ist es eine Kapelle für Schalke-Fans? Kommen Schalker, um für den Sieg zu beten? Oder anders gefragt: Ist nach einer Niederlage mehr los, als nach einem Sieg?
Nein, so kann man das nicht sagen. Diese Arbeit muss auch zur kirchlichen Seite vermittelt werden, nicht nur zum Verein. So etwas würde die Kirche zu Recht sehr kritisch sehen, wenn im Grunde etwas „Unernstes“ passiert. Es soll durchaus in aller Freude sein, da man die Begeisterung für den Fußball teilt und die Fans merken, dass der Pfarrer auch daran hängt. So hat man eine große Gemeinschaft.
Aber was dann passiert, das soll auch existentiell ernsthaft sein, sonst hätte es keinen Sinn. Man kann nicht einfach kurzfristig „magisch“ agieren und sagen: „Jetzt beten wir mal um einen Sieg.“ Wobei ich finde, dass man Gott alles sagen kann. Dass man an dem Verein hängt und der Verein einem wichtig ist und dieser Ort eben auch erhalten bleibt, das darf man auch sagen. Ich lasse in meiner Kirche am Spieltag, wenn es ganz kritisch wird, auch die Kirchentür auf. Dort kann man eine Kerze anzünden. Aber dann lege ich ein Gebet dazu, das ein bisschen über dieses etwas kurzschlüssige „magische Denken“ hinausführt – so dass man für das Ganze betet und bittet, dass alles zum Guten Ziel kommt.
Gerade eine Region, die in den Ranglisten immer wieder hinten liegt, hat wenigstens hier im Verein eine Tradition und etwas, worauf man gemeinsam stolz sein kann. Und darum zu bitten, dass das hier so bleibt, das halte ich für ein sehr legitimes Anliegen und ein solches Gebet auch für verantwortbar.
Im zweiten Teil unseres Interviews spricht Filthaus morgen über das Verhältnis zu Fans anderer Vereine und erklärt, wie Spieler und Trainer die Kapelle nutzen. Gibt es auch negative Reaktionen der Fans auf den Andachtsraum? Und was ist seine Prognose für die laufende Saison?