Kopfverletzung im Sport: Die Gefahren unentdeckter Kopfverletzungen unsplash.com -- Kopfverletzung im Sport: Wichtige Erkenntnisse kommen aus dem American Football
Fit mit Köpfchen - mentale Fitness von Dr. Christian Graz

Kopfverletzung im Sport: Die Gefahren unentdeckter Kopfverletzungen

  • Dr. Christian Graz
Kopfverletzungen im Sport haben häufig fatale Spätfolgen. Das Thema wurde lange Zeit nicht erkannt. Heute setzen sich Mediziner, Verbände und Vereine damit auseinander.
Der Welt war es schon damals klar. Muhammed Ali hätte niemals mehr am 11. Dezember 1981 gegen Trevor Berbick seinen dann letzten Boxkampf führen dürfen. Schon die Fights davor waren für die Fans des vielleicht größten Sportlers aller Zeiten schmerzhaft zum Anschauen. Es war auch für Laien ersichtlich, dass Ali Schäden von den vielen schweren Kopftreffern davontragen würde, denen er in der Spätphase seiner Karriere nicht mehr ausweichen konnte. Das Besondere an dem Fall ist: Während die allermeisten Boxer nach ihrem Karriereende von der Bühne verschwinden, konnten wir den geistigen Verfall des einstigen Wunderboxers öffentlich verfolgen. Der früh an Parkinson erkrankte Ali blieb trotz seines Leidens eine Person des öffentlichen Lebens. Auch dafür müssen wir ihm dankbar sein. Sein Beispiel zeigt, welche gesundheitlichen Folgeschäden Kopfverletzungen im Sport nach sich ziehen können.

Erkenntnisse aus dem American Football: Kopfverletzung im Sport

Das vermutlich wichtigste Ereignis, das die Bedeutung von Kopfverletzungen im Sport deutlich gemacht hat, verdanken wir dem American Football - und in den USA wie so oft einer Klage. 2016 wollten 5000 NFL-Spieler Kompensationszahlungen für die Folgen von Gehirnerschütterungen, die sie während ihrer Laufbahn erlitten hatten. Nach heftigen landesweiten Diskussionen, auch wie die Kopf-auf-Kopf Attacken als Teil des martialischen Spiels zu bewerten seien, zahlte die NFL jedem Spieler bis zu fünf Millionen Dollar. Gutachten hatten unzweifelhaft dargelegt, dass die Schäden bei vielen ehemaligen Spielern irreversibel waren. In Deutschland sind wir noch nicht so weit. Es gibt zwar einzelne Untersuchungen zu dem Thema, zu Schadensersatzklagen oder -zahlungen kam es aber bislang nicht.

Gehirnerschütterungen gehören zu den zahlreichsten neuropsychiatrischen Verletzungen im Spitzensport. Viele Leistungssportler leiden im Alter an komplexen Beeinträchtigungen ihres Gehirns. Boxen, andere Kontaktkampfsportarten und American Football sind dabei gewiss nicht die einzigen Sportarten, die gefährden und langfristig die Hirnfunktionen ungünstig beeinflussen.

kopfverletzungen im sport

Selbst im Fußball kommt es immer häufiger zu Behandlungen am Kopf. Es sind dabei nicht nur die vielen kraftvollen Kopfbälle, wie sie häufig beispielsweise von Innenverteidigern ausgeführt werden. Vielen Spielern brummt am Tag nach dem Spiel noch der Schädel. Beim Fußball ist es die Häufigkeit kleinster Hirntraumata, die in Summe zu langfristigen Beschwerden führen können. Ellenbogenchecks gegen den Kopf oder Zweikämpfe in der Luft, bei denen die Köpfe zusammenprallen, sind im modernen, extrem schnellen und aggressiven Profifußball an der Tagesordnung.

Kopfverletzungen im Sport - Kurzfristige Symptome

Die kurzfristigen Symptome reichen von Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen bis hin zu Verwirrtheit und Gedächtnisstörungen. Dies kann dann später zu ernsthaften körperlichen und emotionalen Störungen führen, die beispielsweise auch in einer lebenslangen schlechten Schlafqualität münden. Während der junge, trainierte und fitte Körper zur kurzfristigen Reparatur von leichteren Gehirnerschütterungen fähig ist, bleiben die Folgen von zu vielen Kopfbällen, Ellenbogenchecks an den Kopf sowie Kopf-an-Kopf Zweikämpfen ein Leben lang. Betroffen sind viele Mannschaftssportler, auch jenseits vom Fußball. Eishockey, Rugby und Handball sind drei weitere Sportarten, bei denen neuropsychiatrische Spätfolgen häufig beobachtet werden. Untersuchungen legen nahe, dass unter anderem Depressionen, milde Gedächtnisprobleme bis hin zu Demenzerkrankungen durch im Sport erlittene Hirn-Traumata begünstigt werden.

Für den aktiven Sportler ist bei der Selbstbeobachtung nach einem Schlag gegen den Kopf wichtig: Die Symptome eines leichten Schädel-Hirn-Traumas treten nicht zwingend sofort nach dem Kontakt auf, sondern häufig auch erst nach mehreren Stunden und später. Leichtere Gehirnerschütterungen sind bei einem MRT nicht in Form struktureller Verletzungen sichtbar. Akute Beschwerden sind bei den meisten Fällen nach einer Woche verschwunden, nach einem Monat ist die vollständige Regeneration hergestellt.

Genaue Zahlen über die Häufigkeit von Gehirn-Traumata gibt es nicht. In den Nullerjahren hat eine amerikanische Studie eine Anzahl von 1,6 bis 3.8 Millionen Fällen im US-Spitzensport geschätzt. Auf Deutschland übertragen würde dies rund eine Millionen Gehirnerschütterungen im Jahr bedeuten. In jedem Fall sollten Leistungs- und auch Freizeitsportler achtsam mit Kopfverletzungen umgehen. Neurotraumatischen Studien zufolge gehören Schädel-Hirn-Traumata und ihre Folgen zu den häufigsten Todesursachen im frühen Erwachsenenalter! Gehirnerschütterungen, auch leichte, sind also nicht trivial und müssen unbedingt ärztlich überwacht und ausgeheilt werden. Auch Trainer und Sportmediziner sind in der Pflicht, die Schwere einer Kopfverletzung richtig zu diagnostizieren und im Notfall eine längere Zwangspause zu verordnen.

Dr Christian GrazZur Person: 

Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.

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