gettyimages -- Elfmeter! Jetzt gilt es, die Nerven zu behalten
Wie man im Wettkampf in den entscheidenden Situationen besteht
- Dr. Christian Graz
Gehören Sie auch zu den Sportlern, denen im entscheidenden Augenblick die Nerven versagen? Sie sind ein guter Tennisspieler, aber je näher der Matchball rückt, desto häufiger verziehen sie ihre Schläge? Oder beim Golfen. Sie spielen ordentlich, aber sobald es um den Turniersieg geht oder die Handicap-Verbesserung finden selbst kurze Puts nicht mehr das Ziel? Eine Vielzahl an vielversprechenden Profikarrieren sind genau an diesem Punkt gescheitert.
Fehler in entscheidenden Phasen eines Spiels oder eines Rennens passieren aber nicht nur Profis, bei Freizeitsportlern sind sie sogar noch häufiger. Was passiert da im Kopf, wenn Fußballer den Strafstoß in den letzten Sekunden eines wichtigen Spiels über das Tor jagen? Fußballidole wie Uli Hoeneß, Bastian Schweinsteiger oder David Beckham erinnern sich vermutlich noch heute, wie sie bei entscheidenden Penaltys den Schuss versemmelt haben.
Sportler können in einer emotional stressigen Situation einiges tun, um gelassener und konzentriert zu bleiben und so das Ziel erreichen, den Matchball, Put oder Elfmeter sicher zu verwandeln. Wie bleibt man „cool“, wenn man eigentlich doch höchst angespannt ist? Eine einfache Antwort gibt es nicht, aber zumindest eine Annäherung an das Phänomen.
Vereinfacht gesagt muss es gelingen, die linke, für die Gefühle zuständige Gehirnhälfte auszuschalten und lediglich mit der rechten Hälfte des Gehirns zu operieren.
Erkenne Dich selbst
Zunächst ist jedoch die korrekte Identifikation der eigenen Gefühlswelt nötig. Nur wer seine eigenen Emotionen kennt und diese festmacht, kann in spielentscheidenden Situationen negative und damit schädliche Gefühle beherrschen. Es geht also um eine rasche Mikroanalyse als Voraussetzung, um die eigenen Empfindungen zu regulieren. Wettkämpfer müssen lernen, die Situation zu verstehen, ihre Erwartungen zu reflektieren, Emotionen wie Nervosität, Angst oder Überforderung aufzudecken, um dann ein mentales Gegenmittel einsetzen zu können. Eventuelle Defizite wie eine überzogene Leistungskognition, Wut oder zu viel Impulsivität können in diesem Fall sogar positiv genutzt werden.
Das ist erlernbar. Etwa, indem bewusst bestimmte Bilder im Kopf gegen die negativen Emotionen gesetzt werden. Ein Stabhochspringer hat mir einmal erzählt, wenn er vor entscheidenden Sprüngen spürt, wie die Versagensangst in ihm hochsteigt, schaltet er ein beruhigendes Kopfkino ein. Ein Bild vom Meer, das einen trägt, oder vom ruhigen Wald, in dem man auf einem Baumstumpf sitzt. Das kann den Puls deutlich senken und die Abgeklärtheit für den Augenblick zurückbringen.
Viele Sportler gehen den anstehenden Ablauf auch systematisch vor der Aktion im Kopf durch. Skirennfahrer visualisieren jeden Schwung, Kunstturner jede Übung. Golfer stellen sich die optimale Flugbahn des Balles vor. Auch Rituale helfen, sich zu konzentrieren. Das Zupfen von Rafael Nadal an seiner Kleidung mag für den Zuschauer lästig aussehen, ihm hingegen hilft es. Sehr viele Leistungsspieler vollziehen oft nicht so sichtbare Rituale, um sich vor bestimmten Spielsituationen besser zu konzentrieren.
Zum „Erkenne Dich selbst“ gehört es auch, sich über private Angelegenheiten und ihre Folgen auf die Gemütswelt während des Sports im Klaren zu sein. Sie haben selbstverständlich Einfluss auf das Verhalten in Stresssituationen. Diese Koppelung sollte einem bewusst sein, bevor man den Elfmeterschuss oder den Abschlag auf Loch 18 vorbereitet. Reagiere ich heute vielleicht reizbarer als gewöhnlich, weil ich vor dem Spiel Unstimmigkeiten mit einem Teamkollegen hatte oder Streit mit meinem Partner?
Lese die Emotionen des Gegners!
In einem Wettkampf mit einem direkten Gegenüber sollte die Selbstreflektion um die Identifikation der Gefühlswelt des Gegners ergänzt werden. In welchem Modus befindet sich der gegnerische Torwart beim Elfmeter? Natürlich profitiert der Schütze von seiner empathischen Fähigkeit, die Emotionen seines Rivalen zu erkennen. Besonders in Kampfsportarten spielt diese Gabe, den Gegner auch mental lesen zu können, eine Rolle. Es ist ein Vorteil zu wissen, wann ein Treffer eine besondere Wirkung, einen psychischen Knacks erzielt.
Bleiben wir aber nochmals beim Seelenleben des Torwarts. Hat er innerlich mit sich zu kämpfen, zeigt er Unsicherheiten, weil er möglicherweise die letzten Spiele schon schlecht gehalten hat? Oder leidet er an verletzungsbedingten Schmerzen, die ihn hemmen? Steht er unter Druck, weil bereits ein besserer „Keeper“ an seinem Stuhl sägt? Sprich: Wenn der Gegner die „Hosen voll“ hat, kann man selbst mentale Techniken ableiten und die Schwäche des Gegners nutzen, um auf der Verhaltensebene - in diesem Fall der Elfmetervorbereitung und dem eigentlichen Elfmeterschuss – entsprechend zu agieren. Ein nervöser Torwart wird sich immer früh für eine Ecke entscheiden und nicht die Coolness besitzen, in der Mitte des Tores stehen zu bleiben. Ein angeschlagener Goalkeeper wird möglicherweise die Variante des langen Abwartens bevorzugen. Setzen Sie sich also immer auch mit der Situation des Wettbewerbers auseinander, wenn es zu entscheidenden Situationen kommt.
Der schwedische Fußballspieler Jonatan Mårtensson drückte das Dilemma mit den Gefühlen einmal wie folgt aus: „Emotionen sind wie Wellen – wir können sie nicht aufhalten, aber, wir können selbst entscheiden, welche wir surfen.“
In der mentalen Vorbereitung geht es also gleichzeitig darum, seine eigenen Emotionen positiv zu regulieren und in Stärke umzuwandeln sowie die (Schwäche-)Gefühle des Gegners zu erkennen und zu nutzen. Im Duell zweier gleich starker Konkurrenten gewinnt immer der mental stärkere, jede Wette.
Erfolgreichen Sportlern gelingt es zudem, „Siegeremotionen“ nonverbal in Körpersprache und Mimik ausdrücken. Sie vermitteln unerschütterliches Selbstbewusstsein. Zu den nonverbalen Signalen gehört es, den Gegner lange im Blickkontakt Auge in Auge zu halten. Mit einem „Siegerlächeln“ oder der geballten Faust nach einer geglückten Aktion lösen Sie beim Gegner Unsicherheit und Ärger aus. Geben Sie mimisch sehr klar zu verstehen, dass Sie den schwierigen Standpunkt des Gegners studiert haben. Urteilen Sie mittels Ihrer Körpersprache, dass Sie keinen begründeten Zweifel daran haben, den Elfmeter zu verwandeln oder den Ball platziert über das Netz zu schmettern.
Als Wettkämpfer im Sport sollten Sie also lernen, was zu tun ist, wenn negative Emotionen aufkommen. Sie sollten erkennen, was gerade im Kopf des Gegners passiert und Sie können sich Vorteile durch eine selbstbewusste Mimik, Gestik und Körpersprache verschaffen.
Zudem kommen Sie an einer Regel nicht vorbei: Üben, üben, üben! Das skizzierte emotionale Handling erfordert genauso Routine wie Sportler auf der Verhaltensebene fleißig trainieren müssen. Nur durch motiviertes Training über einen längeren Zeitraum werden die erlernten mentalen Techniken dann automatisch in der entscheidenden Sekunde des Wettkampfes abgerufen. In der Sporttherapie spricht man in diesem Zusammenhang von Kompetenzüberzeugung (Englisch „perceived self-efficacy“). Echte Profis zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie in „seltenen“ Extremsituationen vielfach erfolgreich zum Ziel kommen, weil sie durch Üben immer wieder die Erfahrung gemacht haben, es zu können.
Zur Person: Dr. Christian Graz
Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.
Sportler können in einer emotional stressigen Situation einiges tun, um gelassener und konzentriert zu bleiben und so das Ziel erreichen, den Matchball, Put oder Elfmeter sicher zu verwandeln. Wie bleibt man „cool“, wenn man eigentlich doch höchst angespannt ist? Eine einfache Antwort gibt es nicht, aber zumindest eine Annäherung an das Phänomen.
Vereinfacht gesagt muss es gelingen, die linke, für die Gefühle zuständige Gehirnhälfte auszuschalten und lediglich mit der rechten Hälfte des Gehirns zu operieren.
Erkenne Dich selbst
Zunächst ist jedoch die korrekte Identifikation der eigenen Gefühlswelt nötig. Nur wer seine eigenen Emotionen kennt und diese festmacht, kann in spielentscheidenden Situationen negative und damit schädliche Gefühle beherrschen. Es geht also um eine rasche Mikroanalyse als Voraussetzung, um die eigenen Empfindungen zu regulieren. Wettkämpfer müssen lernen, die Situation zu verstehen, ihre Erwartungen zu reflektieren, Emotionen wie Nervosität, Angst oder Überforderung aufzudecken, um dann ein mentales Gegenmittel einsetzen zu können. Eventuelle Defizite wie eine überzogene Leistungskognition, Wut oder zu viel Impulsivität können in diesem Fall sogar positiv genutzt werden.Das ist erlernbar. Etwa, indem bewusst bestimmte Bilder im Kopf gegen die negativen Emotionen gesetzt werden. Ein Stabhochspringer hat mir einmal erzählt, wenn er vor entscheidenden Sprüngen spürt, wie die Versagensangst in ihm hochsteigt, schaltet er ein beruhigendes Kopfkino ein. Ein Bild vom Meer, das einen trägt, oder vom ruhigen Wald, in dem man auf einem Baumstumpf sitzt. Das kann den Puls deutlich senken und die Abgeklärtheit für den Augenblick zurückbringen.
Viele Sportler gehen den anstehenden Ablauf auch systematisch vor der Aktion im Kopf durch. Skirennfahrer visualisieren jeden Schwung, Kunstturner jede Übung. Golfer stellen sich die optimale Flugbahn des Balles vor. Auch Rituale helfen, sich zu konzentrieren. Das Zupfen von Rafael Nadal an seiner Kleidung mag für den Zuschauer lästig aussehen, ihm hingegen hilft es. Sehr viele Leistungsspieler vollziehen oft nicht so sichtbare Rituale, um sich vor bestimmten Spielsituationen besser zu konzentrieren.
Zum „Erkenne Dich selbst“ gehört es auch, sich über private Angelegenheiten und ihre Folgen auf die Gemütswelt während des Sports im Klaren zu sein. Sie haben selbstverständlich Einfluss auf das Verhalten in Stresssituationen. Diese Koppelung sollte einem bewusst sein, bevor man den Elfmeterschuss oder den Abschlag auf Loch 18 vorbereitet. Reagiere ich heute vielleicht reizbarer als gewöhnlich, weil ich vor dem Spiel Unstimmigkeiten mit einem Teamkollegen hatte oder Streit mit meinem Partner?
Lese die Emotionen des Gegners!
In einem Wettkampf mit einem direkten Gegenüber sollte die Selbstreflektion um die Identifikation der Gefühlswelt des Gegners ergänzt werden. In welchem Modus befindet sich der gegnerische Torwart beim Elfmeter? Natürlich profitiert der Schütze von seiner empathischen Fähigkeit, die Emotionen seines Rivalen zu erkennen. Besonders in Kampfsportarten spielt diese Gabe, den Gegner auch mental lesen zu können, eine Rolle. Es ist ein Vorteil zu wissen, wann ein Treffer eine besondere Wirkung, einen psychischen Knacks erzielt. Bleiben wir aber nochmals beim Seelenleben des Torwarts. Hat er innerlich mit sich zu kämpfen, zeigt er Unsicherheiten, weil er möglicherweise die letzten Spiele schon schlecht gehalten hat? Oder leidet er an verletzungsbedingten Schmerzen, die ihn hemmen? Steht er unter Druck, weil bereits ein besserer „Keeper“ an seinem Stuhl sägt? Sprich: Wenn der Gegner die „Hosen voll“ hat, kann man selbst mentale Techniken ableiten und die Schwäche des Gegners nutzen, um auf der Verhaltensebene - in diesem Fall der Elfmetervorbereitung und dem eigentlichen Elfmeterschuss – entsprechend zu agieren. Ein nervöser Torwart wird sich immer früh für eine Ecke entscheiden und nicht die Coolness besitzen, in der Mitte des Tores stehen zu bleiben. Ein angeschlagener Goalkeeper wird möglicherweise die Variante des langen Abwartens bevorzugen. Setzen Sie sich also immer auch mit der Situation des Wettbewerbers auseinander, wenn es zu entscheidenden Situationen kommt.
Der schwedische Fußballspieler Jonatan Mårtensson drückte das Dilemma mit den Gefühlen einmal wie folgt aus: „Emotionen sind wie Wellen – wir können sie nicht aufhalten, aber, wir können selbst entscheiden, welche wir surfen.“
In der mentalen Vorbereitung geht es also gleichzeitig darum, seine eigenen Emotionen positiv zu regulieren und in Stärke umzuwandeln sowie die (Schwäche-)Gefühle des Gegners zu erkennen und zu nutzen. Im Duell zweier gleich starker Konkurrenten gewinnt immer der mental stärkere, jede Wette.
Erfolgreichen Sportlern gelingt es zudem, „Siegeremotionen“ nonverbal in Körpersprache und Mimik ausdrücken. Sie vermitteln unerschütterliches Selbstbewusstsein. Zu den nonverbalen Signalen gehört es, den Gegner lange im Blickkontakt Auge in Auge zu halten. Mit einem „Siegerlächeln“ oder der geballten Faust nach einer geglückten Aktion lösen Sie beim Gegner Unsicherheit und Ärger aus. Geben Sie mimisch sehr klar zu verstehen, dass Sie den schwierigen Standpunkt des Gegners studiert haben. Urteilen Sie mittels Ihrer Körpersprache, dass Sie keinen begründeten Zweifel daran haben, den Elfmeter zu verwandeln oder den Ball platziert über das Netz zu schmettern.
Als Wettkämpfer im Sport sollten Sie also lernen, was zu tun ist, wenn negative Emotionen aufkommen. Sie sollten erkennen, was gerade im Kopf des Gegners passiert und Sie können sich Vorteile durch eine selbstbewusste Mimik, Gestik und Körpersprache verschaffen.
Zudem kommen Sie an einer Regel nicht vorbei: Üben, üben, üben! Das skizzierte emotionale Handling erfordert genauso Routine wie Sportler auf der Verhaltensebene fleißig trainieren müssen. Nur durch motiviertes Training über einen längeren Zeitraum werden die erlernten mentalen Techniken dann automatisch in der entscheidenden Sekunde des Wettkampfes abgerufen. In der Sporttherapie spricht man in diesem Zusammenhang von Kompetenzüberzeugung (Englisch „perceived self-efficacy“). Echte Profis zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie in „seltenen“ Extremsituationen vielfach erfolgreich zum Ziel kommen, weil sie durch Üben immer wieder die Erfahrung gemacht haben, es zu können.
Zur Person: Dr. Christian Graz
Dr. Christian Graz ist Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik auf der Bühlerhöhe. Graz ist Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Verhaltenstherapeut, Suchtmediziner und Forensiker, der langjährig Führungskräfte wie auch Berufssportler behandelt. Auf netzathleten.de gibt er in seiner Reihe "Fit mit Köpfchen" mentale Tipps für mehr Fitness und Leistungsfähigkeit.