Interview mit Extremkletterer Stefan Glowacz: "Ein Kletterleben reicht nicht" TOC Argentur für Kommunikation

Interview mit Extremkletterer Stefan Glowacz: "Ein Kletterleben reicht nicht"

  • Nils Borgstedt
Extremkletterer Stefan Glowacz ist gerade von einer Expedition in Venezuela zurückgekehrt. Im Interview erzählt der 45-jährige über seine Erlebnisse am Fels, neue Projekte und - als Garmischer ein Muss - die Olympiabewerbung 2018.

netzathleten: Stefan, Du hast gerade wieder eine große Expedition in Venezuela hinter Dir. Du hast dort ein Projekt beendet, das bereits im Frühjahr 2010 gestartet wurde, aufgrund von schlechtem Wetter aber zunächst abgebrochen werden musste. Was genau hast Du dort gemacht?
Stefan Glowacz: Wie Du schon gesagt hast, hat das Projekt bereits im Frühjahr 2010 begonnen. Wir sind damals von Guayana zusammen mit Indianern aufgebrochen, um an den Fuß des Roraima Tepuis zu gelangen. Der Roraima Tepuis ist einer der höchsten Tafelberge Venezuelas. Dort gibt es eine markante Stelle, die La Proa, eine Felsecke, die in das Dreiländereck zwischen Venezuela, Brasilien und Guayana ragt. Wir wussten von einer englischen Expedition, die in den 1970er Jahren die La Proa erstbegangen hat, dass es schon ein unheimliches Abenteuer ist, an die Wand zu gelangen. Aber anschließend noch die 600 Meter hohe Felsstufe im oberen, überhängenden Wandteil zu durchsteigen steigert das Ganze. Gerade wenn man bedenkt, dass man sich erstmal einen sehr langwierigen Weg dorthin bahnen und dann noch einen etwa 1000 Höhenmeter hohen Vorbau überwinden muss, ist das schon ein sehr anspruchsvolles Unternehmen.

Im Frühjahr sind wir bis zur Wandmitte gekommen, aber dann ist uns die Zeit davon gelaufen. Das Ganze war nämlich auch ein großes Filmprojekt für Red Bull und soll als Thema für eine Kinodokumentation verwendet werden. Der Film wird im Herbst dieses Jahres herauskommen. Durch die Dreharbeiten und das größere Team sind wir ein bisschen in Zeitnot gekommen. Hinzu kam wahnsinnig schlechtes Wetter. Es hat jeden Tag wie aus Kübeln gegossen. Die Wand selber ist - Gott sei Dank - so stark überhängend, dass sie trocken blieb. Trotzdem mussten wir abbrechen und sind dann im Herbst 2010 nochmal an die Wand gegangen. Diesmal sind wir aber von hinten an die La Proa gelangt und haben uns dann über die Wand bis an den höchsterreichten Punkt der ersten Expedition abgeseilt. Von dort aus haben wir dann die Tour beendet.

netzathleten: Was war das Besondere an dieser Route für Dich?
Stefan Glowacz: Das geht schon bei der Location los. Es sind unglaubliche Eindrücke, allein was die Witterungsverhältnisse angeht. Man hat strahlenden Sonnenschein und zehn Minuten später sind unglaubliche Gewitterstimmungen. Das ist dramatisch wie in der Oper. Noch dazu hängt man in der Wand und bekommt das alles unmittelbar mit. Und auch landschaftlich ist es sehr wild. Man klettert ja schließlich über den Urwald von Guayana. Nachts sieht man bis zum Horizont kein einziges Licht.

Aus sportlicher Sicht war vor allem beeindruckend, dass die Felsqualität unübertroffen ist. Ich bin kaum einen Felsen geklettert, der so fest, so kompakt und so kletterfreundlich war. Zwar hängt jede Seillänge extrem über und ist auch sehr schwere Kletterei – bis zum 10. Schwierigkeitsgrad – aber es gibt überall kleine Vorsprünge, Leisten, Risse und alles ist harter, kompakter, quarzdurchzogener Sandstein. Wenn jemand zu mir sagen würde „Zeige mir einen Felsen, wie er zum Klettern perfekt ist“, dann würde ich ihm genau diesen Felsen zeigen.


netzathleten: Einer, der mit Dir auf Tour hätte gehen sollen, war Kletterlegende Kurt Albert. Leider ist er beim Klettersteiggehen abgestürzt. Was hat Euch dazu bewegt, die Expedition dennoch zu machen?
Stefan Glowacz: Als wir im Frühjahr noch gemeinsam mit Kurt unterwegs waren und dann die Expedition unterbrechen mussten, haben wir die ganze Ausrüstung am höchsterreichten Punkt hängen lassen. Für uns drei war vollkommen klar, dass wir zurückkehren und die Erstbegehung beenden werden – egal ob mit Film oder ohne Film. So eine tolle Kletterei und so eine tolle Wand haben wir selten gefunden. Wenn dann nicht am Anfang hochkommt, ist es völlig klar, dass man nochmal hinfährt und das Projekt beendet. Diesen Entschluss haben wir zusammen mit Kurt getroffen, bevor wir uns im Frühjahr zum Abbruch entschieden haben. Schließlich haben wir es dann auch zu zweit gut hinbekommen, auch wenn Kurt natürlich emotional und in unserem Geiste immer dabei.

netzathleten: Ihr habt die Route „Behind the Rainbow“ genannt. Vor der Abreise sagtest Du „es könnte sein, dass wir einen Namen in Anlehnung an Kurt finden.“ Und wie ist nun die Verbindung von Routenname und Kurt Albert?
Stefan Glowacz: Der Routenname hat eigentlich nur für uns persönlich eine Anlehnung an den Kurt. Wir haben von vorneherein gesagt, wir werden diese Route nicht „Kurt-Albert-Gedächtnis-Weg“ oder „Kurt‘s way to heaven“ oder irgendetwas anderes Pathetisches nennen. Wir haben sie deshalb ganz bewusst „Behind the rainbow“ genannt, weil wir eigentlich jeden Tag hinter einem Regenbogen kletterten. Zudem hat Holger ein Bild von Kurt, auf dem er unter einem Regenbogen steht und ihn scheinbar hochstemmt. Holger hat zudem Kurts Leben immer als einen bunten Regenbogen beschrieben. Somit haben wir für uns eben diese Brücke geschlagen, dieser Regenbogen, der einerseits das Leben vom Kurt symbolisiert und andererseits unser ständiger Begleiter auf dieser Tour war.

netzathleten: Wie lange willst Du noch so extreme Expeditionen machen?
Puh, ich denke, da wird ein Kletterleben nicht ausreichen. Ich glaube, wenn wir einmal in Kiste steigen, klettern wir in der anderen Welt weiter. Wir haben noch so viele tolle Ideen und Möglichkeiten, auch was zukünftige Projekte angeht, dass wir uns gerade die Rosinen rauspicken können. Wir wissen aber natürlich auch, dass wir mit Sicherheit nicht mehr alle Ideen verwirklichen können. Was wir betreiben ist auch ein Hochleistungssport und der hat seine eigenen Gesetze. Man ist nur bis zu einem gewissen Alter entsprechend leistungsfähig. Dadurch werden sich die Ziele mit der Zeit verändern. Man wird dann vielleicht nicht mehr den zehnten Schwierigkeitsgrad klettern, sondern stattdessen Überschreitungen und Durchquerungen machen. Momentan liegt der Hauptfokus aber noch auf der schweren Kletterei.

netzathleten: Welche Projekte sind für 2011 geplant?
Ende April werde ich mit David Göttler, einem der erfahrensten und besten Himalaya-Bergsteiger Deutschlands, nach Szechuan aufbrechen, um dort eine Wand an einem noch unbestiegenen Berg zu klettern. Die ganzen Vorbereitungen waren sehr aufwendig, gerade logistisch. Die Täler sind schließlich gerade erst von der chinesischen Führung freigegeben worden. Das wird wieder etwas Neues. Ich war noch nie im Himalaya und es ist deshalb nicht nur eine neue Erfahrung, sondern auch eine Entdeckungsreise. Dort gibt es wahrscheinlich viel mehr Potential, als die Wand, die wir jetzt herausgefunden haben.


Machen wir einen Schwenk und kommen von Deinen persönlichen Zukunftsplänen zu denen Deiner Heimatregion. Garmisch bewirbt sich gemeinsam mit München um die Olympischen Winterspiele 2018. In Albertville 1992 warst Du selbst bei Olympia und hast einen Demonstrationswettkampf geklettert. Was denkst du über die Bewerbung von München und Garmisch für 2018?
Ich vertrete den Standpunkt der Nachhaltigkeit. Die Olympischen Spiele beziehungsweise die Locations, in denen sie stattfinden, müssen auch für die Zukunft Bestand haben. Ein gutes Beispiel sind die Sportstätten der Olympischen Spiele 1972. Sie werden häufig genutzt und stehen der Jugend zur Verfügung. Zudem sind nach der Olympiade Leistungszentren entstanden, um den Leistungssport in dieser Region zu fördern. Das ist eigentlich auch mein Verständnis von den Olympischen Spielen und so müsste es wieder sein, sollte München 2018 den Zuschlag bekommen.

Aber so wie es bis jetzt geplant ist, entspricht es dem nicht. Vor allem in der Region Garmisch sind doch fast alle Installationen – die alpinen Wettbewerbe mal ausgenommen – so geplant, dass sie nach den Olympischen Spielen wieder abgebaut werden. Es soll vor den Toren von Garmisch, in Wallgau, ein Langlaufstadion entstehen, das wieder komplett demontiert wird. Das sehe ich als den falschen Ansatz. Wenn schon olympische Spiele in diesen Regionen stattfinden, dann muss das eine entsprechende Langlebigkeit und späteren Nutzen haben. So wie es derzeit geplant ist, mit der Demontage der meisten Sportstätten, sehe ich diesen Nutzen nicht, sondern habe, im Gegenteil, eher Bedenken. Da wird von dem Olympischen Spirit und dem Olympischen Gedanken, was die Nachhaltigkeit anbetrifft, nicht mehr viel übrig bleiben.

netzathleten: Du bist also prinzipiell für die Spiele, nur mit der geplanten Umsetzung nicht einverstanden. Kannst Du die Gegner somit also auch verstehen, die ihr Land nicht für Olympia 2018 hergeben wollen?
Was da passiert ist wieder absolut typisch. Da versuchen irgendwelche bonierten Bauern irgendwie noch den letzten Pfenning rauszuquetschen. Das ist in meinen Augen eine Farce. So ein Verhalten hat überhaupt keine Berechtigung. Ich könnte es verstehen, wenn Sportstätten, wie beispielsweise die Halfpipe und die Stätten für die ganzen Freestyle-Wettbewerbe, feste Einrichtungen auf deren Gelände werden sollten. Dann muss man natürlich eine Lösung finden und eine Regelung treffen. Aber es wird ja, stand jetzt, alles wieder abgebaut. Das, was errichtet wird, ist ja nur für eine bestimmte Zeit. Natürlich muss auch da eine Entschädigung stattfinden. Aber sich auf den Standpunkt zu stellen „Ne, dafür geben wir partout unser Land nicht her“, halte ich für sehr fragwürdig. Auch weil es sich ja nicht um riesige Ländereien handelt. Außerdem geht es um eine Veranstaltung, die Garmisch, ich würde fast sagen, mehr oder weniger vor dem Untergang bewahrt. Garmisch ist ja momentan eigentlich ein toter Ort und würde durch die Spiele wieder belebt werden.


Stefan Glowacz, der Unternehmer…Du führst erfolgreich das Unternehmen Red Chili. Hat Dir Dein Leben als Kletterer bzw. haben Dir Erfahrungen bei extremen Expeditionen bei der Unternehmenserrichtung und -führung geholfen?
Stefan Glowacz: Ja, schon sehr. Vor allem was die Zielsetzung, den Biss angeht, die Leidenschaft etwas durchzuziehen. Mein Partner Uwe Hofstädter und ich haben das Unternehmen vor 13 Jahren gegründet. Wir sind dieses Projekt damals wie eine Expedition angegangen. Wir haben dieses Fass aufgemacht und gesagt: „Wir ziehen das jetzt durch.“ Wir waren total überzeugt von unserer Idee und hatten auch sehr schnell sehr großen Erfolg. Durch den Erfolg hatten wir aber auch herbe Niederlagen und Rückschläge zu verkraften, gerade was Finanzierungen angeht. Aber „Probleme“ gab es immer nur in den Bereichen, die nicht unser Spezialgebiet waren. Wir sind ja keine BWLer, keine Wirtschaftsingenieure. Und genau da sind die Lücken sichtbar geworden. Da habe ich wieder eine Parallele zu den Expeditionen festgestellt. Man muss für jeden Bereich einen entsprechenden Spezialisten mit ins Boot holen. Und so haben wir angefangen unser Team zu verändern. Es wächst und zieht sich zusammen, fast schon organisch. Bei Bedarf holen wir uns Spezialisten, die nach dem Projekt das Team wieder verlassen, genau wie bei einer Expedition.

Was aber sowohl im Unternehmen als auch bei der Expedition von entscheidender Bedeutung ist, ist die Leidenschaft. Wenn die Leidenschaft nicht da ist, ist man auch nicht gut. Und dann wären wir auch nicht da, wo wir heute stehen.

netzathleten: Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank für das nette Gespräch.
Stefan Glowacz: Bitte, gerne.

Stefan Glowacz Live

Wer Stefan Glowacz einmal live erleben möchte, der hat an folgenden Terminen die Möglichkeit dazu:

02.02.2011, 20 Uhr München, Gasteig, Carl-Orff-Saal, Vortrag: Am Ende der Welt

03.02.2011, 20 Uhr Düsseldorf, DAV Sektion Düsseldorf, Vortrag: Am Ende der Welt

07.02.2011, 20 Uhr Selscheid, Antonius Kolleg, Lions Club Neunkirchen, Vortrag: Am Ende der Welt

17.02.2011, Beilngries, Haus des Gastes, Vortrag: Am Ende der Welt

24.03.2011, Pfronten-Ried, Sport Trenkle, Vortrag: Am Ende der Welt

25.03.2011, Kirchheim, Herzog Freizeit und Camping, Vortrag: Am Ende der Welt

22.10.2011, Brixen, Italien, Vortrag: Am Ende der Welt

05.11.2011, Innsbruck, Öserreich, Alpenmesse 2011, Vortrag: Am Ende der Welt

06.11.2011, Jena, Vortrag: Am Ende der Welt

11.11.2011, Wolfratshausen, Vortrag: Am Ende der Welt

18.11.2011, Erlangen, Fernweh-Festival, Vortrag: Am Ende der Welt

19.11.2011, Köln, DAV-Sektion, Vortrag: Am Ende der Welt

27.11.2011, Schwyz, Schweiz, Vortrag: Am Ende der Welt

10.12.2011, Benzheim, Kletterhalle Benzheim, Vortrag: Am Ende der Welt

 

weitere Informationen zu Stefan Glowacz gibt es unter www.glowacz.de

 

Kontakt

Copyright © 2017 netzathleten