Interview mit Christian Schwarzer – Im Handball ticken die Trainer anders picture alliance (Pokal), Christian Schwarzer (privat)

Interview mit Christian Schwarzer – Im Handball ticken die Trainer anders

  • Derk Hoberg
Die deutsche Mannschaft geht mit geringen Erwartungen in die Hauptrunde der Handball-WM. Trotz des Sieges gegen Island muss nun schon ein Handball-Wunder her, um das Halbfinale noch zu erreichen. Im Interview sorgt sich netzathleten-Experte Christian Schwarzer derweil um die Zukunft des deutschen Handballs.

 

netzathleten: Christian Schwarzer, das Minimalziel Hauptrunde ist bei der WM erreicht, aber gegen Frankreich und Spanien war wieder nichts zu holen. Warum?
Christian Schwarzer: Gegen Spanien hat uns ein zehnminütiger Blackout eine bessere Ausgangsposition gekostet. Sehr ärgerlich, weil die Mannschaft ein wirklich gutes Spiel gemacht hat. Dass man gegen Frankreich so chancenlos war, ist bedauerlich. Aber wir sind nun in einer Ausgangsposition für die Hauptrunde, die vor dem Turnier zu erwarten war. Drei souveräne Siege und zwei Niederlagen mit denen man rechnen konnte. Aber es war mehr drin, als mit null Punkten in der Hauptrunde zu stehen.

netzathleten: Wie ist denn so ein gravierender Leistungseinbruch wie der in den letzten Minuten der zweiten Hälfte gegen Spanien überhaupt zu erklären?
Christian Schwarzer: Das ist die große Frage, die es zu klären gilt. Man hat die gesamte Vorbereitung gezielt gegen offensive Abwehrreihen, die wie Spanien mit einer 5:1-Abwehr verteidigen, gespielt. Wie dann ein solcher Blackout zustande kommt, das fragt man sich als Trainer natürlich auch. Nicht immer hat man eine Erklärung dafür.

netzathleten: Wäre in dieser Situation nicht die große Turniererfahrung des nicht berücksichtigten Torsten Jansen gefragt gewesen?
Christian Schwarzer: Nein, was soll ein Toto Jansen auf Linksaußen gegen eine 5:1-Deckung machen? Da ist der Rückraum gefragt, im Zusammenspiel mit dem Kreisläufer, der aus der Bewegung kommt. Das hat gegen die Spanier nicht funktioniert.


netzathleten: Hat der deutsche Handball derzeit nichts mit der Weltspitze zu tun, so hilflos wie die Mannschaft in der zweiten Hälfte gegen Frankreich gewirkt hat?
Christian Schwarzer: Das kommt darauf an, wie man die Weltspitze definiert. Wenn Frankreich an der Spitze ist, haben wir damit zur Zeit nichts zu tun. Wenn aber auch Spanien dazugehört, dann sind wir nicht weit entfernt. Da hat uns eine Schwächephase den Sieg gekostet. Aber klar, Frankreich ist uns einen Schritt voraus, Spanien mit Sicherheit nicht.

netzathleten: Bundestrainer Heiner Brand will sich während des Turniers nicht zur Nachwuchsarbeit der Bundesligavereine äußern. Was muss im deutschen Handball passieren, um wieder an die absolute Spitze zu kommen?
Christian Schwarzer: Man braucht Trainer, die mit jungen Spielern arbeiten wollen. Im Moment ist die Situation, bis auf wenige Ausnahmen, in der Handball-Bundesliga leider nicht so. Wenn man sich im Fußball umschaut, wo Dortmund gerade mit einer jungen Mannschaft die Liga dominiert und selbst ein so renommierter Trainer wie Louis van Gaal etlichen Talenten den Vorzug gibt, ist das vorbildlich. Im Handball ticken die Trainer leider anders, das ist ein großes Problem für unseren Nachwuchs.


netzathleten: Wir müssen uns um die Zukunft des deutschen Handballs also ernsthafte Sorgen machen. Was kannst Du als DHB-Jugendkoordinator bei den Trainern erreichen?

Christian Schwarzer: Was soll ich da erreichen? Ich bin froh, dass ich sechs meiner hoffnungsvollen Talente in der zweiten Liga bei Vereinen habe, die mit jungen Spielern arbeiten wollen. Und die Jungs erledigen ihre Aufgaben da sehr gut. Aber in der ersten Liga sehe ich für sie derzeit leider überhaupt keine Chancen. Und mit Zweitligaspielern brauchen wir zukünftig erst gar nicht zu einem großen Turnier fahren.

netzathleten: Bei der WM steht jetzt die Qualifikation für Olympia 2012 in London auf dem Spiel. Ein Scheitern käme einer mittleren Katastrophe gleich. Hat das deutsche Team derzeit die Form für Platz sieben, der die Qualifikation bedeuten würde?
Christian Schwarzer: Wir können alle der kommenden Gegner schlagen, davon bin ich überzeugt. Mit dem Engagement, Kampfgeist und Willen, den die Jungs gegen Spanien und bei ihren drei Siegen gezeigt haben, ist das möglich. Im letzten Vorrundenspiel gegen Tunesien hat man ihnen auch wieder den Spaß am Handball angesehen. Sie wissen, dass sie es können, jetzt müssen sie es aber auch unbedingt abrufen. Wenn es gut läuft, steht man am Ende der Hauptrunde mit sechs Punkten da und das kann - mit einem kleinen Handball-Wunder - sogar für das Halbfinale reichen.

netzathleten: Vielen Dank für das Gespräch, Blacky!

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