Jansen wusste Bescheid – Interview mit Christian Schwarzer picture alliance (Pokal), Christian Schwarzer (privat)

Jansen wusste Bescheid – Interview mit Christian Schwarzer

  • Derk Hoberg
Nach der enttäuschenden EM im vergangenen Jahr in Österreich (Platz 10), sinnt die Deutsche Handballnationalmannschaft auf Wiedergutmachung. Eine schwere Aufgabe, warten schon in der Vorrunde der WM ganz dicke Brocken auf das Team von Bundestrainer Heiner Brand. Weltmeister und netzathleten-Experte Christian-Schwarzer glaubt aber an die Mannschaft. Im Interview verrät er uns warum.

 

netzathleten: Christian, mit dem deutschen Handball geht es seit dem Weltmeistertitel 2007 stetig bergab, warum ist das so?
Christian Schwarzer: Ja, von den Ergebnissen her kann man das gerne so sehen. Wobei ich sage, dass die Begleitumstände in den letzten Jahren auch nicht die besten waren. Das Team hatte großes Verletzungspech, viele Leistungsträger sind bei den großen Turnieren ausgefallen. Bei der letzten WM in Kroatien haben wir das Halbfinale etwas zu leichtfertig verschenkt. Dort spielte die Mannschaft eine sehr gute Vorrunde, in der Hauptrunde hatten wir allerdings etwas Pech gehabt. Ein großes Problem ist sicherlich auch die begrenzte Anzahl an deutschen Topspielern, da sind wir limitiert, auch weil viele internationale Weltklassespieler in der Bundesliga die Schlüsselpositionen besetzen.

netzathleten: Erreicht Heiner Brand das Team noch oder gibt es nach 13 Jahren im Amt Abnutzungserscheinungen?

Christian Schwarzer: Nein, mit Sicherheit nicht. Wenn man sieht mit welcher Kraft er an die Aufgaben herangeht, wie vehement er sich über Dinge beschwert, die nicht so gut laufen. Er ist seines Amtes nicht müde und ist bereit diesen Weg zu gehen. Es fehlt derzeit die Masse an guten Spielern, wie gesagt, die deutschen Talente bekommen zu wenige Einsätze. Das schadet auch der Nationalmannschaft.

netzathleten: Jetzt lässt Brand den erfahrenen Linksaußen Torsten Jansen zu Hause. Trifft der Bundestrainer noch die richtigen Personalentscheidungen?
Christian Schwarzer: Das wird sich zeigen, aber das ist eine der Entscheidungen, die ein Trainer nun mal treffen muss, populär oder nicht. Ich habe mit Heiner gesprochen, warum er sich so entschieden hat. Vom sportlichen her war das eine ganz enge Sache. Jansen hat seine Vorteile in der 6:0-Abwehr, der Bundestrainer will aber in entscheidenden Spielsituationen flexibel sein, und auch mal mit einer 5:1-Deckung spielen, wie er das jetzt getestet hat. Das sprach für Dominik Klein und Uwe Gensheimer. Ausschlaggebend war weiterhin, dass Toto Jansen elf Monate nicht in der Nationalmannschaft gespielt hat. Eine Zeit, in der Dominik Klein immer dabei war.

netzathleten: Über die Nichtberücksichtigung wird viel diskutiert. Inwieweit wusste Torsten Jansen Bescheid?
Cristian Schwarzer: Da wird natürlich viel spekuliert im Moment. Meines Wissens wusste Torsten aber rechtzeitig Bescheid. Der Bundestrainer sagte mir, dass er mit Torsten Jansen schon nach dem Spiel gegen Polen im Dezember und auch jetzt nach dem Spiel gegen Schweden gesprochen hat. Dort habe er ihm erklärt, was er bei den Testspielen auf Island vorhat und dass er sich dort ein Bild machen will. Scheinbar war er in Island trotz der beiden Niederlagen zufrieden und entschied sich deshalb für mehr Flexibilität in der Abwehr und damit für Dominik Klein. Die Sachlage war also klar und die Spekulationen in der Presse sind größtenteils falsch.

netzathleten: Spielmacher Michael Kraus hat die Kapitänsbinde an Pascal Hens übergeben. Kann er sich jetzt wieder voll auf seine eigene Leistung konzentrieren?
Christian Schwarzer: Ich glaube das hat gar nichts mit dem Kapitänsamt zu tun. Michael ist endlich mal wieder verletzungsfrei und topfit. Die letzten Turniere war das nicht der Fall. Im Leistungssport geht das nun mal nach hinten los, wenn man zwar der Mannschaft helfen will, aber nicht fit ist. Das ehrt den Spieler, hilft der Mannschaft aber nicht weiter. Jetzt ist er beschwerdefrei und schon sieht man, zu welchen Leistungen er fähig ist.

netzathleten: Die starke Vorrundengruppe bei der WM macht wenig Mut, dass es diesmal für den DHB besser läuft. Was ist in der Vorrunde möglich?
Christian Schwarzer: Da ist alles für uns möglich, ein Weiterkommen auf jeden Fall. Ich glaube sogar, für uns ist es besser eine schwierige Gruppe zu haben, da man nun hochkonzentriert in jedes Spiel hineingehen muss. Bei Gruppengegner Frankreich muss man warten, wie sie ihre Ausfälle kompensieren können. Spanien ist auch immer ein heißer Titelkandidat. Und die afrikanischen Gegner Ägypten und Tunesien sind unangenehm für uns Europäer zu spielen, das haben wir in der Vergangenheit oft genug zu spüren bekommen. Schwere Brocken also, in der Tat. Aber man weiß was auf einen zukommt. Gerade das finde ich gut.

netzathleten: Was stimmt Dich so optimistisch? Trotz des enttäuschenden 10. Platz bei der Europameisterschaft in Österreich vergangenes Jahr gab es keinen Umbruch im Kader. Hat sich die Mannschaft weiterentwickelt?
Christian Schwarzer: Mit Sicherheit. Es ist ja eine ganze Weile vergangen seither. Jeder einzelne hat wieder mehr Erfahrung gesammelt, das bringt auch die Mannschaft weiter. Und der wichtigste Aspekt ist ja, dass die Spieler aus ihren Fehlern gelernt haben und diese nun abstellen können. Wenn man das schafft, wird man auch besser. Das ist die größte Erfahrung, die man im Sportlerleben machen kann.

netzathleten: Das Turnier in Österreich war also ein Ausrutscher?
Christian Schwarzer: Dort hatten wir auf den Schlüsselpositionen einige angeschlagene Spieler, die Voraussetzungen waren alles andere als gut. Ein Beispiel: Im Rückraum fehlte vor allem der jetzige Kapitän Pascal Hens, Lars Kaufmann war auf sich alleine gestellt. Nun ist es so, dass sich gerade diese beiden Spieler sehr gut ergänzen, wenn der eine mal nicht funktioniert, funktioniert eben der andere. Pascal ist jetzt wieder dabei, die Last ist auf mehrere Schultern verteilt.

netzathleten: Wie ist die Mannschaft aufgestellt, wo gewinnt Deutschland die Spiele, wo verliert es sie?
Christian Schwarzer: Einzelne Positionen gewinnen in einer deutschen Mannschaft kein Spiel. Es geht – wie eigentlich immer – nur über eine gute und geschlossene Mannschaftsleistung. Angefangen in der Abwehr, wo wir wenn möglich mit der für uns gewohnten 6:0-Abwehr dem Gegner unser Spiel aufzwingen wollen. Für den Fall, dass das mal nicht klappt, hat der Bundestrainer gegen Schweden nun eine 5:1-Verteidigung ausprobiert, um da eine Option zu haben. Unsere guten Torhüter müssen auch in Form sein, um auch mal einen Fehler der Abwehr auszubügeln. Dann gewinnt diese wiederum an Sicherheit. Im Angriff muss jeder seine bestmögliche Leistung abrufen und versuchen, eine hohe Trefferquote zu erzielen, um sich in die Mannschaft einzubringen. Dann spielt die deutsche Mannschaft ein gutes Turnier.

netzathleten: In Österreich spielte die Mannschaft häufig kopf- und ideenlos. Ist die Mannschaft überhaupt kreativ genug, um Spiele zu gestalten?
Christian Schwarzer: Wir haben genug Leute im Kader, die ihre Kreativität Woche für Woche in der Liga und der Champions League unter Beweis stellen. Kreativität und Potential sind da, da mache ich mir keine Sorgen, nur sollte sich keiner mehr verletzen, dann wird es nämlich eng. Wir sind in Österreich zwar nur 10. geworden, aber wenn man sich die Spiele mal anschaut, waren wir nicht weit weg von der Weltspitze. Ich habe da noch das Spiel gegen Frankreich vor Augen, da waren wir bis zur 50. Minute auf Augenhöhe mit dem späteren Titelträger, bis Jansen einen Siebenmeter vergab. Wenn dieser reingeht, gewinnt man das Spiel vielleicht. Diese Mannschaft hat also eindeutig das Potential die Großen zu schlagen und bis ins Halbfinale vorzustoßen.


netzathleten: Zum Abschluss, wer ist Dein Topfavorit?
Christian Schwarzer: Eigentlich Frankreich. Sie heben sich durch ihre Leistungen in der jüngeren Vergangenheit etwas von den anderen Mannschaften ab. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sie so souverän auftreten, wie bei den letzten Turnieren. Der Ausfall ihrer erfahrenen Spieler Daniel Narcisse im Angriff und Guillaume Gille in der Abwehr wird sich bemerkbar machen. Aber sie sind amtierender Olympiasieger, Welt- und Europameister und strotzen nur so vor Selbstvertrauen. Danach habe ich die üblichen Verdächtigen auf dem Zettel, es ist wie bei den vorangegangenen Turnieren. Es gibt fünf bis sechs Mannschaften, die sich alle untereinander an guten Tagen schlagen können: Kroatien, Spanien, Dänemark und auch wir gehören eben in diesen Kreis.

netzathleten: Vielen Dank für das Gespräch Blacky und bis zum nächsten Mal. Die netzathleten drücken dem DHB-Team die Daumen.

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