„Ich hab’s nie wegen des Geldes gemacht“ - Interview mit Alexander Seggelke picture-alliance

„Ich hab’s nie wegen des Geldes gemacht“ - Interview mit Alexander Seggelke

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Alexander „Ali“ Seggelke war der Peter Pan der Bundesliga. Erwachsenwerden ist etwas für Langweiler. Der Karriere hat das nicht immer gut getan. Im Interview macht der 31-Jährige eine Rückschau ohne Reue, dafür mit Limbo im Fernsehen und Bully-Touren durch Südfrankreich.

Quakenbrück, Treffpunkt Cafe Cassillius, das „Wohnzimmer“ der Basketballprofis schräg gegenüber der Dragons-Geschäftsstelle. Alexander Seggelke sitzt mit Teamkollege Johannes Strasser am Tisch. Beide haben nach dem Vormittagstraining die Aussicht auf eine Portion Pasta und einen freien Nachmittag. Während „Hannes“ die Kellnerin bezirzt, linst „Ali“ auf meinen Spickzettel mit den Interviewfragen. „Da lese ich doch schon ‚Limbo’“, stöhnt er. „Hatten wir ja lange nicht mehr“, gibt Strasser von der Seite trocken zurück. Sorry Ali, um die Frage kommst du nicht herum.

Crossover: Wo liegt aktuell dein Rekord beim Limbo?
Seggelke: Das habe ich nie wieder gemacht. Aber ich bin oft genug daran erinnert worden. Das war grenzenlos. Egal wo wir hingefahren sind, überall wurde ich angesprochen.

Im Sommer warst du mit deiner Freundin als Kandidat bei der Sat1-Show „Mein Mann kann...“. Deine Aufgabe war es, unter einer 90 Zentimeter tiefen Latte herzutanzen.
Ich bin 1,94 Meter groß. Das ist für mich anatomisch völlig unmöglich. Selbst die brasilianischen Tänzerinnen, die das am Set vorgemacht haben, haben sich bei 90 Zentimetern geweigert.

Das Video bricht leider zu früh ab, aber am Ende hast du es nicht geschafft. War da eigentlich wirklich Strom auf der Anlage, wie der Moderator gewarnt hat?
Ach, das ist Quatsch, da war nie Strom drauf. Das ist Fernsehen. Da ist alles inszeniert. Wir sollten so tun als ob. Strom drauf, das könnten die ja niemals machen.

Warum hast du dir diesen Zirkus überhaupt angetan?
Meine Freundin ist auf die Idee gekommen. Da gab es 50.000 Euro zu gewinnen. Meine Freundin studiert und da wäre das Geld ganz nett gewesen. Wir mussten zwei, drei Castings durchlaufen. Am Ende haben sie 24 von 140 Leuten genommen, und wir waren dabei. Die Aufnahmen waren in Köln, direkt neben Big Brother.

Der merkwürdige Fernsehauftritt passt zu Alexander Seggelke. Der mittlerweile 31-Jährige hat sich nie groß darum gekümmert, was andere von ihm denken. Manch junger Basketballer macht sich zu Beginn seiner Karriere einen Plan davon, wo er mal hin möchte. Nach dem Motto: Erst Regio, dann zweite Liga, dann den Kader eines Erstligisten knacken und weiter. Wenn dazwischen der DBB anruft, geht’s mit stolzer Brust zu den Lehrgängen. So sehen die Anfangsjahre praktisch aller deutschen Topprofis aus. Anders bei Seggelke. Er hatte keinen Plan. Er hatte einfach nur Talent und wollte einfach mal gucken, wo es ihn hinführt.


In den Jahren 2003/2004 gehörtest du den wenigen großen Guard-Talenten im deutschen Basketball. Das bekamen sogar Leute mit, die nichts über Basketball wussten. Bei deinem Sieg beim „King of the Court“-Contest in Bonn war der Musiksender VIVA dabei.
Aber in dem Bericht hinterher bin ich kaum aufgetaucht. Die waren alle nur wegen Edwin Ofori-Attah da...

... der eine Zeit lang als kommender Star gehandelt wurde und es sogar in die „Tagesthemen“ geschafft hatte.
Vielleicht fand die deutsche Basketballpresse solche Typen gut. Er war ein Straßenbasketballer, ein Zocker. Ich habe ihn aber nie in einem Spiel im professionellen Bereich vernünftig spielen sehen. Ich hab im Finale 11:3 gewonnen, und er hat rumgeflucht und sich das Shirt vom Körper gerissen. Dabei war das nicht mal knapp, sondern eine ganz klare Geschichte. Im VIVA-Bericht bin ich trotzdem nur ganz kurz zu sehen. Vielleicht lag das auch daran, weil ich bei dem Prozedere nicht richtig mitgespielt habe. Als ich am Mikrofon erklären sollte, was ich mit meinen Preisen machen würde, habe ich ehrlich gesagt, dass ich keine Ahnung hätte, was ich mit einem Klamottengutschein für Sir Benni Miles anfangen soll. So etwas trage ich gar nicht. Ich bin mehr der Chucks-und-Jeans-Typ. Ich habe die Sachen dann auch nie bekommen. Die wären wohl auf Ebay gelandet.

Die in den Medien vermarktete Streetball-Kultur war nicht so dein Ding?
Das mit dem „King-of-the-Court“ war aber eine einmalige Aktion. Die Leverkusener haben mich darum gebeten, um eine bisschen PR für den Verein zu machen. Es hat mich nicht gereizt, so etwas öfter zu machen oder im Sommer bei Streetball-Turnieren zu spielen. Früher in Wedel bei Hamburg, wo ich aufgewachsen bin, haben wir viel Streetball gespielt. Aber als ich das erste Mal in Hamburg auf dem Heiligengeistfeld war, hatte das überhaupt nichts mit dem zu tun, was ich kannte. Das fand ich furchtbar. Wir haben ganz anders gespielt als andere Leute auf der Straße. Wir waren einfach ein anderer Schlag Mensch. Wir waren halt die Vereinsspieler. Wir haben den Ball gepasst, wir haben uns nicht gegenseitig auf die Fresse gehauen.

Apropos: Eddie Ofori-Attah macht heute „Cage Fighting“, wusstest du das?
Ja...

…Johannes Strasser, der sich bis dahin nur mit seiner Pasta und der Zeitung beschäftigt hat, schaut auf: „Was, wie geil ist das denn? Kann man das irgendwo sehen?“ Man kann. Für alle, die sich an den „Eddie-O“-Hype von damals erinnern, hier ein ernüchterndes Video.


Ofori-Attahs Basketballkarriere verlief völlig im Sand. Wir hatten ihn zuletzt 2007 im Interview. Auch bei dir sah es im Sommer 2005 schlecht aus. Nach gerade einmal zwei Jahren Bundesliga in Leverkusen verschwandest du in Richtung zweite Liga. Du gingst sogar freiwillig. Warum?
Ich hatte zwei Jahre in Leverkusen gespielt, und es gab eine mündliche Zusage des Vereins für einen neuen Vertrag. Wie man das im Norden macht, wo ich herkomme, per Handschlag. Ich bin in Urlaub gefahren und danach wollten wir alles Weitere regeln. Als ich wieder kam, gab es die Ausländerbeschränkung nicht mehr. Plötzlich habe ich in den Plänen des Vereins keine Rolle mehr gespielt. Mit mir wurde nie darüber geredet und das hat mir nicht gefallen.

Aber warum der Schritt zurück in die Unterklasse? Gab es kein Interesse von anderen Bundesligisten?
Es gab die Möglichkeit, zu einem anderen BBL-Club zu gehen. Aber ich hab mir gedacht: Den Scheiß tu ich mir nicht an. Nur auf der Bank sitzen? Dafür spiele ich zu gerne Basketball. Scheiß auf’s Geld, ich hab’s nie deswegen gemacht. Ich hatte keine Lust, mich so behandeln zu lassen und darum wollte ich mir etwas suchen, wo ich mehr Einfluss auf meine Situation habe. Dann kam das Angebot von Jena aus der zweiten Liga. Das war finanziell völlig uninteressant. Ich habe dort praktisch für lau gespielt.

Was sprach denn überhaupt für Jena?
Ich sollte da nebenher eine Ausbildung machen, aber im Endeffekt wurde da nichts draus. Das hat der Verein ein bisschen verbaselt. Sie haben mich aber dafür entschädigt und beim neuen Vertrag ein bisschen was drauf gelegt. Letztlich hat sich das Sportliche verbessert, und das Berufliche hat keine Rolle mehr gespielt. Wir hatten in Jena tolle Erfolge. Der Aufstieg in die BBL 2007 war für die ganze Region eine riesige Sache. Es ist richtig cool, ein Teil dieser Geschichte gewesen zu sein.

Ihr habt dann nur fünf Spiele in der ganzen Saison 2007/2008 gewonnen und es ging wieder runter ins Parterre...
Der Verein war noch nicht vernünftig aufgestellt für die BBL. Man hat sich überhoben. Es fehlte einfach hier und da ein bisschen.

Letztlich war es ein bisschen viel. Das teure Bundesligaexperiment ließ in Jena fast die Lichter ausgehen. Seggelke blieb, auch weil er sich dem Verein verpflichtet fühlte. Immerhin hatte ihm das Management einen Fünfjahresvertrag angeboten. Die Bundesliga war für den sparenden Club jedoch in weiter Ferne. Im Sommer 2009 kam ein Angebot von den Artland Dragons. So wie das Gehalt stieg, sanken nun wieder die Freiheiten. Als Edelrollenspieler hält Seggelke den Stars den Rücken frei. Wie zum Ausgleich für den Freiheitsentzug suchte er sich ein neues Hobby.


Du wolltest mit einem Bully durch Skandinavien reisen. Ist daraus etwas geworden?
Nein, der Wagen ist mir beim zweiten oder dritten Trip kaputt gegangen. Ich bin mit einem Kumpel in Südfrankreich gewesen und auf dem Rückweg in Italien ist mir die Spurstange in einem Schlagloch gebrochen. Es war ein T3, Baujahr 1988. Den hatte ich in der Scheune von unserem Physiotherapeuten wieder zurecht gebastelt. Jetzt ist er weg.

Magst du eigentlich das Landleben? Du bist immerhin Mitglied im Quakenbrücker Angelverein.
Absolut. Wedel gehört zwar zu Hamburg, aber das ist schon fast Schleswig-Holstein. Ich bin auch nach Quakenbrück gegangen, weil ich wieder das „Moin“ hören musste. Ich mag das Norddeutsche, das so ein bisschen Derbe. Ich kann hier angeln. Ich habe hier mit meiner Freundin ein Familienleben – nur ohne Kinder. Wenn man mit 22 Jahren hierher kommt, kann es vielleicht eine Katastrophe sein, aber ich bin ja inzwischen auch älter. Man lässt halt die Feierei ein bisschen sein.

Hast du es früher krachen lassen?
Gegenfrage: Wer war mit Anfang 20 kein Partygänger?

Naja, bei jungen Profisportlern hat man doch den Eindruck, dass die alles für die Karriere opfern müssen. Freizeit, Freunde, Partys...
Da lügt man sich das was in die Tasche! Je erfolgreicher, desto doller! Ok, es gibt welche, die darauf verzichten. Ich will es ja nicht bei allen ausschließen. In Wedel gab es aber nach jedem Spiel eine Kiste Bier in der Kabine. Das war richtig ungewohnt für mich nach Rhöndorf zu wechseln und dort unter professionellen Bedingungen zu arbeiten. Aber wir waren jung und da hat man noch die Energie, samstags nach dem Spiel die Nacht zum Tag zu machen.

Von Rhöndorf hast du dann den Sprung in die BBL geschafft. Denis Wucherer, dein damaliger Teamkollege in Leverkusen und heute Co-Trainer der Nationalmannschaft, hat mal gesagt, du hättest alle Möglichkeiten der Welt gehabt. Aber irgendwas habe zum Durchbruch gefehlt. Was war das?
Es gab in meinem Leben lange Phasen, in denen ich nicht sicher war, ob ich das machen will. Ob ich Basketballprofi sein will. Deswegen hat es auch mit der Nationalmannschaft nie geklappt. Ich glaube, man wusste nicht so genau, wo ich in meiner Karriere eigentlich hin will: Ist er Profi oder spielt er einfach nur gerne? Basketball hatte für mich einfach noch nicht diesen Jobcharakter. Die Verantwortung und der Druck sind natürlich ganz anders, wenn du nicht mehr nur 350 Mark verdienst. Andere werden sagen, dass ich nicht den Mumm hatte, mich in Leverkusen durchzusetzen. Aber das ist nichts, was ich mir vorhalte. Ich habe noch nie zu mir gesagt: Mensch, hättest du früher mal mehr an dir gearbeitet. Mit dem Alter wird dann aber der Wunsch, mal einen Titel zu holen, immer größer. Ich würde sagen, Vollprofi, auch vom Kopf her, bin ich seit fünf Jahren.

Bereust du etwas an deinem Weg?
Ich glaube, ich wäre gerne in die Staaten gegangen. Nicht weil mich das Spiel dort reizen würden, sondern weil ich das System dort gut finde, Basketball mit dem Studium zu kombinieren. Du machst dort praktisch zwei Ausbildungen. Die Jungs können direkt in den Beruf gehen oder sagen: Ich spiel noch ein bisschen als Profi. Hier zerren als junger Profi immer zwei Leute an dir. Der Verein will dich beim Training sehen. Die Uni sagt: Wenn der nicht in die Vorlesung geht, wie soll er die Prüfung schaffen? Jedes Mal, wenn ich versucht habe zu studieren, war irgendwann wegen Zeitmangel Ende. Das hat mich über die Jahre immer belastet. Man hat immer die Angst im Hinterkopf: Wenn jetzt in zwei Jahren die Karriere vorbei ist, was machst du dann?

Gute Frage: Was machst du dann?
Ich habe totalen Respekt vor dieser Situation. Ich hoffe, dass ich irgendwann die Entscheidung treffe, dass ich nicht erst dann gehe, wenn mir keiner in der BBL mehr einen Vertrag anbietet. Ich denke nicht, dass ich noch mal den Verein wechseln werde. Danach gehe ich zurück nach Hamburg und dann fängt ein neues Leben an. Was ich dann mache? Ich kann jetzt keinen Plan aus der Tasche ziehen.

Das Interview führte Jens Möller

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