"Ohne Arbeit geht nichts" - Interview mit Holger Geschwindner

"Ohne Arbeit geht nichts" - Interview mit Holger Geschwindner

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Im Interview mit Holger Geschwindner, das unsere Partnerseite crossover-online.de geführt hat, spricht der Mentor von Dirk Nowitzki über das Thema Jugendarbeit in Deutschland, Tibor Pleiß und die sommerlichen Entscheidungen der Dallas Mavericks.

CROSSOVER: Dirk Nowitzki gehört jetzt schon zu den älteren Spielern hier in Deutschland. Wie sieht es mit neuen Talenten aus? Zeichnen sich da bestimmte Entwicklungen ab?
Holger Geschwindner: Basketball entwickelt sich ja momentan rasend in eine völlig andere Richtung. Und das ist in Deutschland dann so, dass man die Entwicklung nicht unbedingt mitgehen möchte. Die meisten Trainer erzählen heute noch Dinge, die schon vor 30 Jahren veraltet waren. Ich sage das mal so krass. Wir bieten die Methoden ja an, die Dirk Nowitzki nach vorn gebracht haben. Er ist jetzt zwölf Jahre oben dabei und wir sind auch weiterhin daran interessiert, die Methoden weiterzuentwickeln. Es gibt genug Talente in Deutschland, aber diese lernen mit 15/16 das, was nicht mehr gebraucht wird. Und das ist ein bisschen das Problem, aber das liegt nicht an den Kids, sondern eher an der Ausbildung.

Haben Sie da ein eigenes Scouting-System?
Nein, das braucht es eigentlich nicht. Wer auf einem hohen Niveau Basketball spielen will, der muss das auch von sich aus wollen. Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen. Jeder weiß, dass wir ab 12:30 Uhr in der Sporthalle stehen, da kann jeder kommen. Da kommen ja auch einige. Natürlich sind dabei auch einige, die kein Talent besitzen, aber es sind auch welche dabei, die sind hochtalentiert. Aber wenn man ihnen dann erklärt, wie ein Leben als Profi aussehen würde, dann wollen viele nicht, was sehr verständlich ist. Aber im Basketball kann man auch nicht mit "du musst, du sollst, usw." arbeiten, sondern den Spielern muss in Abhängigkeit von der Qualität, vom Talent geholfen werden, sich weiterzuentwickeln. Das wollen nicht so viele.

Wegen der harten Arbeit, die damit verbunden ist?
Ohne Arbeit geht sowieso nichts. Aber insgesamt ist das auch kein Trainingsaufwand, den diese Spieler sowieso betreiben. Der Unterschied liegt nicht im Aufwand, sondern in den Methoden. Aber solange die aktuellen Methoden in Deutschland erfolgreich sind, man damit zufrieden ist, dann Deutscher Meister zu werden, dann ändert man daran auch nichts. Aber man weiß auch, wie Deutschland international dasteht.

Aber Dirk Nowitzki zeigt ja, dass man auch als Deutscher in der Weltspitze mit agieren kann.
Ja, gut, es geht auch jetzt nicht darum, dass wir etwas besonderes gemacht haben, sondern wir sind da einfach eine Entwicklung mitgegangen, angepasst daran, wie sich die Sportart entwickelt.

Wie sehen Sie die Entwicklung von Tibor Pleiß?
Was ich besonders gut finde ist, dass er sein Abitur gemacht hat. Er ist ehrgeizig, er hat mit 2,15 Meter die Größe, die man auch nicht erlernen kann, er kann Freiwürfe schießen. Und das ist für seine Größe schon etwas besonderes. Jetzt muss man mal abwarten, ob er bereit ist, seine technischen Werkzeuge zu verbessern. Denn bis er in die NBA geht, ist die Sportart wieder etwas weiter. Ich denke ohne gescheite Wurftechnik und die Fähigkeit, sich selbst einen Wurf zu erarbeiten, wird es schwierig werden. Denn von seiner Körpergröße gibt es in den USA viele, die eben auch physisch stärker sind. Und er muss ja gegen diese Spieler antreten und nicht gegen BBL-Spieler, die da nicht mithalten können. Also ich wünsche ihm das Beste, aber im Augenblick kann ich nicht so richtig sehen, wie er das hinbekommen möchte.


Würden Sie ihm empfehlen, jetzt schon hinüberzugehen?
Nein, das wäre keine gute Idee. Allein schon physisch, er muss erstmal auf ein höheres Level kommen, damit er physisch mithalten kann. Also von der Kraft her und konditionell. Dann muss er auch Skills dazu packen, damit er Werkzeuge hat, auch im Eins-gegen-Eins zu bestehen. In der NBA sind nach wie vor Isolation-Plays wichtig. Wenn man das nicht hinbekommt, dann wird das schwierig.

War es da bei Dirk Nowitzki auch wichtig, ihm genau andere Skills beizubringen als die eines typischen Big Man?
Ja. Wir hatten aber auch eine ganz andere Ausbildungsposition. Als Dirk damals in der zweiten Liga spielte, war für uns wichtig, was man anbieten kann, was die NBA nicht hat. Wir haben uns dann auf den Wurf konzentriert. Und im Resultat ist Dirk jetzt der erste Seven-Footer, der den Drei-Punkte-Wettbewerb gewinnen konnte. Das haben die großen US-Spieler auch nicht auf die Reihe bekommen. Und insofern haben wir etwas demonstriert, was keiner vor ihm konnte. Nachträglich haben wir dann die anderen Werkzeuge hinzugepackt.

Bei Tibor ist das umgekehrt, er bringt jetzt die Körpergröße mit, aber ist auch ein klassischer Big Man. Das ist natürlich viel schwieriger. Wenn er beispielsweise einen sichere Wurf á la Hook Shot wie Kareem Abdul-Jabbar hätte, etwas, was in der NBA heute rar ist, dann wäre es auch einfacher. Aber so etwas kann man lernen, wenn man will. Aber solange man nicht etwas Außergewöhnliches kann, etwas besser macht als alle anderen, dann wird es nicht einfach.

Bill Russell sagte in einem Interview, dass er damals die Trainer dadurch überraschte, dass er alle Spielzüge von jeder Position aus laufen hätte können, ob nun als Point Guard, Shooting Guard, etc. Wie sieht das heute aus?
So etwas ist heute Voraussetzung. Ich kann nicht nur eine Position im Kopf haben, sondern muss die Perspektive von allen Seiten kennen. Das war zu Bill Russells Zeiten noch anders, der ja nicht nur sportlich sondern auch politisch damals Einfluss nahm. Aber heute ist das Standard. Man muss möglichst umfassend die Sportart kennen. Das ist ein wichtiger Punkt. Man kann da nicht nur mit einem Werkzeug antreten.

Ist das dann das, was die europäischen Spieler unterscheidet, die es in der NBA schaffen von denen, die es nicht packen, obwohl sie die nötigen Skills hätten? Also macht das Spielverständnis dann den Unterschied?
Es gibt nach wie vor zwei Sportarten im Basketball, es gibt FIBA- und NBA-Basketball. Das wird hochgradig unterschätzt, wie groß da die Differenz ist. Da muss man aufpassen. Als Beispiele sind da der Spanier Juan Carlos Navarro oder der Litauer Sarunas Jasikevicius zu nennen, die die Chefs hier in Europa sind. Die haben es in der NBA probiert und sind zurückgekehrt, weil sie nur den europäischen Stil beherrschen. Das sind einfach zwei verschiedene Sportarten; da muss man sehr gut überlegen, wo man da hingehört.


Wie sieht es da bei Nowitzkis Teamkollegen Rodrigue Beaubois aus, der ja auch als Franzose aus Europa kommt? Wie sehen Sie seine Entwicklung?
Der hat natürlich enormes Talent. Da bleibt es abzuwarten, ob er das Talent auch ausreizen kann.

Das sah in der Summer League zuletzt nicht wirklich danach aus, oder?
Die Summer League ist für die Entwicklung eines Spielers nicht sehr förderlich. Da sind einfach wild zusammengestellte Mannschaften, in denen die Spieler, die in die NBA wollen, im Eins-gegen-Eins-Gezocke ihr Können demonstrieren wollen. Für Beaubois' Entwicklung, die ja in Richtung Spielmacher gehen soll, braucht er natürlich Mitspieler. Unter diesen Voraussetzungen ist das natürlich nicht einfach. Also ich halte Summer League für die Entwicklung von Spielern, außer dass sie viel Einsatzzeit bekommen, nicht für hilfreich.

Aber die NBA ist doch auch, wie Sie zuvor auch schon sagten, häufig auch 1on1, also Isolation-Plays, da kann das doch dann hilfreich sein, oder?
Gut, das kann man auch an der Einschätzung in den Medien sehen: Da heißt es dann Kobe Bryant und die Los Angeles Lakers, Dirk Nowitzki und die Dallas Mavericks, und so weiter. Da wird es aber auch in Zukunft Änderungen geben. Denn im Endeffekt gewinnt einer allein keine Meisterschaft mehr. Man schaue sich da nur das Spiel sieben um die Meisterschaft an, da wirft Kobe Bryant 6 von 24 aus dem Feld und die Lakers gewinnen. Bei den Mavericks funktioniert das derzeit nicht, denn wenn Dirk nicht trifft, dann gewinnen sie sicher nicht. Das wird sich jetzt zunehmend ändern. Man braucht eben dann zwei, drei oder vier Scorer, davon kann dann mal einer ausfallen, aber wenn man nur ein oder zwei hat, dann wird es schwierig. Da wird sich in den nächsten Jahren in der NBA auch dramatisch etwas ändern.

Wäre Beaubois dann einer, der sich in so eine Rolle des konstanten Scorers entwickeln könnte?
Ok, er ist ein junger Kerl, er hat einen Haufen Talent, wenn der halbwegs mit den Füßen auf dem Boden bleibt und sein Handwerkszeug macht, dann wartet auf ihn eine große Karriere. Das hat er ja schon in den Playoffs gezeigt gegen San Antonio, als er zusammen mit Dirk die Mavericks zurück ins Spiel brachte. Leider hatte er dann im letzten Viertel nicht mehr gespielt. Warum, das wissen nur die Götter. Aber auf jeden Fall hat er das Talent.

Um mal auf andere Spieler zu kommen, beispielsweise Jason Kidd. Wie sehen sie da das Verhältnis zwischen Kidd und Nowitzki auch außerhalb des Feldes? Hat Kidd dem Spiel der Mavericks geholfen?
Also Kidd und Dirk haben ein sehr gutes Verhältnis, das passt perfekt. Und geholfen hat er dem Spiel auf jeden Fall. Allein mit seiner Erfahrung. Auch hat er jetzt so viele Dreier getroffen wie noch nie in seiner Karriere zuvor. Das ist natürlich bei ihm auch umgekehrt als bei Beaubois. Kidd kennen natürlich alle, seine Moves kennt jeder, er muss sich da immer wieder etwas neues ausdenken, aber die Erfahrung in der NBA kann dabei auch sehr hilfreich sein.

Ich frage deshalb, weil statistisch betrachtet sind die Mavericks in der Offensive mit Kidd schlechter geworden im Vergleich zu den Zeiten mit Devin Harris, der quasi ein Beaubois ohne Wurf ist. Also die offensive Effizienz nahm ab. Wie passt das zusammen?
Na gut, Devin Harris und Jason Kidd sind nun zwei verschiedene Welten. Harris rannte ähnlich wie der Rodrique das Spiel hoch und runter, der hatte einen Job. Man sieht ja, wo er jetzt herumspringt. Der andere ist 16 Jahre in der Liga, da hat man dann die Erfahrung, wenn das Spiel auf der Kippe steht, da muss man dann auch ganz andere Dinge mitbringen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das ist eigentlich unvergleichbar.


Ich kenne nun Tyson Chandler nun auch nicht persönlich. Da muss man erstmal abwarten, wie er sich einfügt, wie das alles zusammen dann harmoniert. Die Chemie in der Mannschaft muss doch auch stimmen.

Vor zwei Jahren gab es bekanntliche eine kleine Rangelei in der Playoffs-Serie gegen die New Orleans Hornets, als Nowitzki und Chandler aneinander gerieten. Wirkt sich so etwas dann auf die Chemie zwischen den Spielern aus?
So etwas passiert auf dem Spielfeld. Die NBA ist nun mal auch kein "Wattebausch-Weitwurf", sondern da geht es dann auch schon mal zur Sache. Aber nach dem Spiel oder außerhalb des Spielfelds, da hat man natürlich nicht mehr das Level, was die Aggressivität angeht. Auf dem Spielfeld geht es um alles, aber das beste Beispiel ist doch da der Shaquille O'Neal. Auf dem Spielfeld und privat sind bei ihm zwei Paar verschiedene Schuhe.

Erwarten Sie von den Mavericks noch eine größere Sache hinsichtlich möglicher Trades?
Der Markt steht ja da nie still. Da gibt es so ein paar Zeitfenster, in denen nichts geht, aber es ist ja immer möglich, durch Neuverpflichtung oder durch Trades bis Ende Februar die Mannschaft zu verbessern, zu ergänzen oder zu vervollständigen, auch wenn verletzte Spieler ausfallen. Da kann sich während der NBA-Saison vieles in einer Mannschaft dramatisch verändern. Also da muss man jetzt erstmal abwarten.

Wie sieht es hinsichtlich der Spielminuten bei Dirk Nowitzki aus? Sollten die zurückgefahren werden?
Der Dirk hat schon die meisten Spielminuten im Team, aber so lange er sich so fit hält, ist das aus meiner Sicht kein Problem. Aber manchmal müssen die Minuten schon reduziert werden, zwar nicht über die Saison verteilt, sondern das muss von Spiel zu Spiel entschieden werden, damit er am Ende des Spiels noch ausreichend Energie hat. Aber das ist dann eine Entscheidung vom Coach. Da kann er dann auch nicht einfach sagen, dass er jetzt nicht mehr auf das Feld will.

Holger Geschwindner zählt zu den Gesichtern der deutschen Basketball-Szene. Der gebürtige Bad Nauheimer feierte er in den 1960er Jahren mit dem MTV Gießen drei Deutsche Meisterschaften (1965, 1967, 1968) und einen DBB-Pokalsieg (1969). Nach Stationen beim USC München (1970-1977) folgten Engagements beim 1. FC Bamberg, dem SSC Göttingen und beim BSC Saturn Köln. Mit den Rheinländern holte er zwei weitere Titel (1981, 1982) und einen Pokalsieg (1983). 1986 beendete der 64-Jährige seine Karriere beim 1. FC Bamberg. Er ist, zusammen mit Rainer Tobien, einer von zwei ehemaligen Bundesligaspielern, die mehr als 600 Bundesligaspiele (1. und 2. Liga) absolviert haben. Der 170-fache Nationalspieler war 1972 Kapitän der deutschen Olympiamannschaft (12. Platz in München). Ins mediale Rampenlicht rückte Geschwindner in den letzten Jahren vor allem als Mentor und Manager von Weltstar Dirk Nowitzki.

Das Interview führte Christian Guse

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