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Dem Berufsstand der Athletiktrainer den Rücken stärken
- netzathleten.de
Wissenstransfer aus aktuellem Anlass: Auf der 2. Athletik-Konferenz vom 4. bis 6. September in Bonn wollen die Veranstalter gemeinsam mit renommierten Referenten und Gästen aus der Branche viele dringende Themen ihres Berufstandes beleuchten, praxisbezogene Expertise liefern – und mit gefährlichem Halbwissen aufräumen. Das Ziel: Ihre Zunft soll sich emanzipieren und der Rolle der Erfüllungsgehilfen für die sportlich Verantwortlichen in den Spitzenklubs entwachsen.
Innerhalb der Szene will sich ohnehin niemand zur Kollegenschelte hinreißen lassen. Zumal – wie im Falle Müller-Wohlfahrts – die handelnden Personen oftmals als Koryphäen ihres Fachs gelten. „Öffentliche Bewertungen oder gar Kritik aus der Ferne stehen einem nicht zu, solange keine Informationen über die Verletzungshistorie und den jeweiligen Status Quo vor und nach der Verletzung eines Athleten vorliegen – das wäre unseriöse Spekulation“, wiegelt Neuroathletiktrainer und Sportwissenschaftler Lars Lienhard ab, wenn er auf die Bayern-Misere angesprochen wird. Schuldzuweisungen liegen auch Oliver Schmidtlein fern: Das Ergebnis einer Rekonvaleszenz sei „immer die Summe aus der Arbeit aller, die mit dem Patienten arbeiten“ – vom Operateur bis zum Reha-Trainer –, so der einst für die Bayern und die DFB-Auswahl tätige Physiotherapeut gegenüber netzathleten.de.
Festzuhalten bleibt: Die enorme Verletzungsmisere beim Branchenprimus aus München, der in der Folge auch noch seine Athletik-Abteilung völlig umkrempelte, rückte ein Thema ins Blickfeld, das längst eine breitere Öffentlichkeit verdient hätte. Denn: Athletik und Fitness spielen eine zunehmend zentrale Rolle im Spitzensport. Längst widmen sich auch die Medien der athletischen Ausbildung der Aktiven, deren Leistungssteigerung, vor allem aber auch den dazu korrespondierenden Faktoren Verletzungs-Prävention und Rehabilitation. Das Thema Fitness liegt im Trend. Der Berufsstand der Athletiktrainer steht immer mehr im Mittelpunkt. Dabei wird deutlich: Sie sind inzwischen ähnlich wichtig wie die Cheftrainer und haben auf die sportlichen Resultate ähnlich großen Einfluss wie Torjäger und Spielmacher.
Impressionen der Athletikkonferenz 2014
Dabei allerdings werden in der öffentlichen Wahrnehmung selten alle Aspekte und wissenschaftlichen Erkenntnisse der athletischen Ausbildung von Hochleistungssportlern ausgeleuchtet. Oft reduziert sich das Interesse auf die Frage: Wie schnell ist der Athlet nach seiner Verletzung wieder einsatzbereit? Die Berichterstattung ist selten ausreichend fundiert und beim Versuch, komplexe Sachverhalte möglichst knapp und einfach zu umschreiben oder ‚abzuhandeln’, schleichen sich zwangsläufig Fehler ein. Plakative Schlagzeilen über ‚Wunderheiler’ und ‚Fitness-Gurus’ haben die Medienlandschaft längst überschwemmt – Sportteil vs. Wissenschaftsressort. Die Schnelllebigkeit der Nachrichten und die Gier auf vermeintliche News stehen dem Anspruch an eine fundierte, sachgerechte Berichterstattung zunehmend im Wege. „Hat sich früher ein Spieler im Training verletzt, hatte man als Zeitungsmann für den folgenden Tag seine Überschrift. Heute wird der schreibende Kollege bereits auf der Fahrt in die Redaktion im Radio mit der vermeintlichen Schlagzeile von morgen konfrontiert“, beschreibt es Markus Hörwig, Mediendirektor des FC Bayern, treffend.
Selbst in der Trainerszene herrscht aufgrund der hohen Komplexität und der vielfältigen konzeptionellen Ansätze im Umgang mit dem Bewegungsapparat oftmals gefährliches Halbwissen – bzw. Uneinigkeit. Viele aktuelle Beispiele allein in der jüngeren Vergangenheit verdeutlichen dies. Das breite Spektrum zwischen Fitnesscoach, Physiotherapeut, Vereinsarzt und sportlicher Leitung birgt die Gefahr mangelhafter bis fehlerhafter Kommunikation, Athletik-Experten werden nicht selten zu Erfüllungsgehilfen der Cheftrainer degradiert. Leidtragende sind dann stets die Aktiven. „Das kurzfristige Erfolgs- und Profitdenken steht dem langfristigen Leistungsaufbau entgegen“, mahnt Szene-Insider Marek Joschko, Fachmann für Trainingsausrüstung, Ausstatter von Leistungszentren und Olympiastützpunkten und Mitinitiator der jährlichen Athletik-Konferenz in Bonn.
„Der muss am Wochenende spielen“. Diesen Hinweis, der auch als Befehl verstanden werden kann, hat vermutlich jeder Physiotherapeut, Fitnesstrainer oder Mannschaftsarzt von seinem Cheftrainer schon einmal gehört. Zeitgemäß waren derartige Ansprüche und Kommandos noch nie. Doch treten die Kollateralschäden inzwischen viel deutlicher zu Tage als früher. Erschwerend hinzukommt, dass die Bezeichnung ‚Athletiktraining’ kein trainings-wissenschaftlicher Fachbegriff ist. Doch es regt sich was in der Szene: Die 2. Athletik-Konferenz vom 4. bis 6. September will Aufklärung betreiben und Wissenstransfer ermöglichen. Mitveranstalter Robert Heiduk, Diplom-Sportlehrer und mit dem Hochschulsport der Uni Bonn als Sportwissenschaftler in Lehre und Ausbildung von Trainern und Sportlern aktiv, erklärt: „Die Besonderheit der Athletik-Konferenz ist ihr sportart-übergreifender Charakter. Wir sehen uns als Bindeglied zwischen Wissenschaftlern und Trainern. Die Sportwissenschaft muss sich noch mehr mit praxisrelevanten Themen auseinandersetzen. Die Trainer wiederum benötigen fundierte Fachkenntnisse, um ihre Kompetenzen im Sinne einer Professionalisierung des Berufsstandes zu stärken.“
Heiduks Partner Marek Joschko ergänzt: „Soziokulturelle Veränderungen, steigende Professionalisierung und zunehmende kommerzielle Einflüsse verlangen eine klare Standortbestimmung unseres Berufstandes“. Er wird sogar noch deutlicher: „Wir müssen uns dagegen wehren, in den Vereinen Fußabtreter oder Blitzableiter der sportlichen Leitung zu sein.“ In der Athletik-Konferenz sieht das Duo die Chance einer Bewusstseinsschärfung. Sie widmet sich u.a. folgenden Fragen: Welchen Stellenwert nimmt der Athletiktrainer heute in den Sportarten ein? Wie ist der Terminus Athletiktraining inhaltlich präzise zu definieren? Wie sehen Karriereentwicklungen von erfolgreichen Athletiktrainern aus? Welche Probleme stellen sich dem Athletiktrainer in der täglichen Praxis? Welche Trainingsinhalte gehören zu Athletiktraining und welche nicht? Was kann die Wissenschaft für die Praxis leisten und was können Wissenschaftler von Trainern lernen? Und: Welche materiellen Rahmenbedingen sind für Athletiktraining notwendig?
Experten vor Ort
Zahlreiche Experten haben ihr Kommen zugesagt, um ihre Expertise anhand praxisbezogener Beispiele in Workshops und Vorträgen weiterzugeben. Einer der hochkarätigen Gäste und Sprecher ist Thomas Wilhelmi, Fitnesstrainer Bayern Münchens. Sein Referatsthema: „Return to Play-Strategien im Spitzenfußball“. Dr. Mischa Kläber, Ressortleiter für Präventionspolitik und Gesundheitsmanagement beim Deutschen Olympischen Sportbund und Lehrbeauftragter für Sportsoziologie an der Technischen Universität Darmstadt, hat sich zum Thema gemacht, Kraft- und Athletiktraining auch sozialgeschichtlich aufeinander zu beziehen. Sportwissenschaftler Lars Lienhard, Pionier in Sachen Neuroathletik-Training und mit der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM in Brasilien dabei, liefert in einem Workshop praxisbezogene Einblicke in die neuronale Trainingsmethodik. Dies sind nur drei von vielen spannenden, hochaktuellen Themen, die im Rahmen der zweieinhalbtägigen Veranstaltung an der Universitätssportanlage Venusberg in Bonn behandelt werden. Die Athletik-Konferenz versteht sich auch als Forum für spannende, bilaterale Gespräche und Diskussionen. Zudem ist eine abschließende Podiumsdiskussion geplant, auf der aktuell relevante, womöglich auch provokante Thesen aufgegriffen werden sollen.Es dürfte spannend werden in Bonn, informativ und lehrreich. Denn soviel steht fest: Was die Wahrnehmung des Berufsstands der Athletik- und Reha-Trainer und die an sie gestellten Ansprüche angeht, zwickt es an allen Ecken und Enden.
Programminhalte, Tagesabläufe, Anmeldungs-Details und weitere Einzelheiten sind auf der Internetpräsenz der Athletik-Konferenz zu finden: www.athletikkonferenz.de