Was ist Rolfing?
- Nils Borgstedt
Früher sprach man vom Bindegewebe. Heute sind es die Faszien, die man mit Hilfe von Massagetechniken, Druck und Rollen behandeln kann. Was in den letzten Jahren durch die Medien und bei Vorträgen in der Sportwissenschaft und in der Gesundheits- und Fitnessbranche geistert, ist also nicht neu. Aber inzwischen messbar. Eine Methode, die schon sehr lange das Bindegewebe als Schlüssel zum Erfolg gegen Fehlhaltungen sieht, ist das Rolfing. Aber was versteht man darunter genau?
Rolfing® ist eine Massageform, die nicht die Muskeln in den Vordergrund stellt, sondern auf die faszialen Strukturen im Körper abzielt. Das ganzheitliche Konzept entwickelte Ida Rolf in den 1950er Jahren in den USA. Es basiert auf ihrer Beobachtung, dass die Schwerkraft fortlaufend auf unseren Körper einwirkt. Die Annahme: „Wenn unser Körper im Gleichgewicht ist, wenn wir gerade und aufrecht stehen, sitzen und uns bewegen können, werden wir leistungsfähiger sein und weniger körperliche Probleme haben“, erklärt Markus Roßmann, zertifizierter Rolfer™, Diplomsportlehrer und Bewegungstherapeut.
Beim Rolfing® geht es also darum, mit bestimmten Griffen den Körper ‚neu einzustellen‘: „Alle wichtigen Strukturen des Körpers werden dabei angesprochen und neu aufeinander abgestimmt“, erklärt der Rolfer™. „Mit den Fingern, dem Ellbogen und teilweise auch dem Unterarm gehen wir mit langsamen, schmelzenden Bewegungen bei unseren Klienten in die Strukturen.“
Rolfing® – die Wirkung
Beim Rolfing® werden im Körper zwei Vorgänge ausgelöst: Zum einen lösen sich die faszialen Verklebungen, zum anderen wird der Wasserhaushalt beeinflusst. „Wasser ist für eine optimale Funktion von Fasziengewebe und Muskulatur unerlässlich. Es ermöglicht erst, dass die Strukturen problemlos aneinander gleiten können“, sagt Roßmann. „Durch den Druck beim Rolfing® wird das ‚alte‘ Wasser aus dem Bindegewebe gedrückt, ähnlich wie bei einem Schwamm. Anschließend saugen sich die Faszien wieder mit ‚frischerem‘ Wasser voll.“
Rolfing® ist aber auch eine Art Bewusstseinsschulung, weil die Klienten dabei ihren Körper und ihr Körpergefühl besser kennenlernen. „Wir arbeiten an der Haltung der Klienten, was dazu führt, dass sie sich nach den Sitzungen anders und physiologisch wieder richtig bewegen können“, erklärt Roßmann.
Die moderne Faszienforschung wies in den vergangenen Jahren wissenschaftlich nach, dass die Körperwahrnehmung eng mit den Faszien zusammenhängt – ein Wissen, das die Rolfer schon immer in ihre Arbeit einbezogen haben: In den faszialen Strukturen sind nämlich sechs Mal so viele Rezeptoren enthalten wie in anderen Strukturen des Körpers, die für die Eigenwahrnehmung verantwortlich sind.
Wie schnell das Rolfing® anspricht, ist individuell unterschiedlich. „Es gibt Klienten, die bereits nach der ersten Sitzung merken, dass sich etwas ändert. Bei anderen braucht es mehrere Sitzungen. Faszienforscher fanden heraus, dass es sechs bis 24 Monate dauert, bis sich kollagene Strukturen komplett erneuert haben.“ Damit die Wirkung anhält, lernen die Klienten in einer Serie von zehn Rolfing-Sitzungen, ihre Bewegungsmuster zu ändern.
Rolfing® – Kontraindikationen
Rolfing® eignet sich für viele Menschen zur Vorbeugung vor gesundheitlichen Problemen und zur Behandlung von Schmerzen – zum Beispiel Rückenschmerzen. „Wenn jemand eine Muskelentzündung hat, spare ich diese Region aus“, erklärt Markus Roßmann. Selbst eine Schwangerschaft ist kein Hindernis: „Eine Kollegin von mir, die zugleich Hebamme ist, arbeitet sogar oft mit Schwangeren.“
Rolfing®-Anwendungen orientieren sich am individuellen Schmerzempfinden der Klienten. Jeder darf also sagen, wie weit der Therapeut gehen kann: „Als Basis dient eine Schmerzskala von eins bis zehn, wobei zehn bedeutet, über diesen Punkt möchte ich nicht hinaus“, sagt Roßmann. Zu Ida Rolfs Zeiten nahmen die Rolfer noch nicht so viel Rücksicht, damals waren die Behandlungen recht schmerzhaft. Was aber immer mal passiert: „In sehr seltenen Fällen bilden sich bei einigen Klienten nach einer Sitzung Hämatome, also blaue Flecken.“
Rolfing® im Leistungssport
Rolfing® im Leistungssport einzusetzen, sieht Roßmann als Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit zu steigern und Verletzungen vorzubeugen. Und auch für den Umgang mit psychischem Druck kann Rolfing® Sinn machen. „Man hat inzwischen festgestellt, dass die Faszien viel mit der Psyche zu tun haben. Durch Rolfing® kann es einem gelingen, das vegetative Nervensystem herunterzufahren, und das wiederum hat einen direkten Einfluss auf den Körper“, sagt der Experte, der sich für den Leistungssport wünscht, dass mehr Wert auf die Körpereigenwahrnehmung gelegt wird.
Wichtig zu wissen: Rolfing® kann dazu führen, dass „emotionale Geschichten“ wieder in den Vordergrund treten. „Das kann eine alte Verletzung aus Kindheitstagen sein oder auch andere Traumata, die verdrängt wurden. Es kann wieder zu Schmerzen in dem entsprechenden Bereich kommen“, so Markus Roßmann. „Allerdings hat man dann gute Chancen durch die weitere Behandlung, deutliche Erfolge und auch eine Bewegungsverbesserung zu erzielen.“ Die norwegischen Biathleten werden übrigens über die Saison hinweg von einem Rolfer™ begleitet und immer wieder behandelt.
Weitere Informationen zu Faszienforschung und Rolfing gibt es unter:
Experte Markus Roßmann
- Diplom-Sportlehrer (TU München)
- Certified Rolfer®
- Bewegungstherapeut
- Fascial Fitness Master Trainer
- Geschäftsführung der Fascial Fitness Association GmbH
- Mitglied der Faszienforschungsgruppe von Dr. Robert Schleip
- Homepage: http://www.concept-rossmann.com/