Was ist eigentlich Natural Running?
- Marco Heibel
Ist Barfußlaufen tatsächlich natürlicher als Laufen in Hightech-Schuhen? Ist die Laufschuh-Industrie Schuld an Schäden am Bewegungsapparat? Schadet eine gute Dämpfung? Und vor allem, welcher Laufstil ist der Richtige? Das sind nur einige der Fragen, die derzeit unter Laufexperten und in Läuferkreisen diskutiert werden.
Dabei sollte man eigentlich meinen, dass Laufen die einfachste Sache der Welt ist. Bevor wir beurteilen können, ob moderne Laufschuhe ungesund sind oder nicht, müssen wir uns zunächst mal mit dem Thema Laufstil befassen. Grundsätzlich gibt es drei Arten zu laufen:
Laufstil 1: Der Rückfußlauf
Bei dieser Technik setzt die Ferse zuerst auf. Dann rollt man über den Fuß ab. Der Abdruck erfolgt über den Fußballen. Der erste Bodenkontakt erfolgt vor dem Körperschwerpunkt. Damit wirkt ein Teil der aufgebrachten Energie bremsend. Erst wenn der Fuß unter dem Körperschwerpunkt ist, kann die Bewegungsenergie in Vortrieb umgewandelt werden. Kritikpunkt: Das Fußbett kann den Aufprall nicht so gut abfedern, die Kniebelastung ist höher. Dafür ist die Belastung der Wadenmuskulatur und der Achillessehne geringer. Der Laufstil ist für fast jede Streckenlänge geeignet.
Laufstil 2: Der Vorfußlauf
Bei dieser Technik setzt der Fußballen zuerst auf. Je nach Geschwindigkeit erfolgt dann ein kurzer Kontakt der Ferse mit dem Boden. Sprinter hingegen laufen nur auf dem Ballen. Der erste Bodenkontakt ist unterhalb des Körperschwerpunktes. Das Fußgewölbe fängt den Aufprall auf natürliche Weise ab. Bei diesem Laufstil geht am wenigsten Bewegungsenergie verloren. Nachteil: Die Belastung der Wadenmuskulatur und der Achillessehne ist sehr hoch. Eine Anpassung an diesen Laufstil kann Monate dauern. Außerdem ist der Vorfußlauf nicht für lange Strecken wie einen Marathon geeignet. Dafür ist diese Lauftechnik die schnellste Variante.
Laufstil 3: Der Mittelfußlauf
Diese Technik ist eine Art Kompromiss zwischen Rück- und Vorfußlauf. Dabei setzt man mit der ganzen Fußfläche unterhalb des Körperschwerpunktes auf. Das Fußbett kann so den Aufprall gut abfedern, zugleich geht kaum Energie durch Bremswirkung verloren. Zudem ist die Belastung für die Wadenmuskulatur und die Achillessehne geringer als beim Vorfußlauf. Dennoch kann auch hier die Anpassung an den Laufstil einige Wochen oder Monate dauern. Dafür ist aber auch ein Marathon gut mit der Mittelfußtechnik zu bewältigen.
Soweit so gut. Die Frage ist jetzt aber, gibt es einen optimalen Laufstil oder ist die Frage nur individuell zu beantworten? Dafür gibt es verschiedene Ansätze:
Rückfußlauf mit guter Dämpfung
Die Laufschuh-Industrie hat uns jahrelang glauben gemacht, der Rückfußlauf mit einem Aufsetzen der Ferse beim Abrollen sei der beste Laufstil – zumal der Vorfußlauf eine gute Gesamtathletik und eine ausgeprägte Beinmuskulatur erfordert. Dementsprechend wurden Schuhe hergestellt, die an der Ferse besonders gut gedämpft sind und durch andere Stützelemente und unterschiedliche Materialhärten den Fuß in eine vermeintlich natürliche Abrollbewegung bringen. Man könnte bei manchen Schuhen auch von “zwingen“ sprechen. Neuere Untersuchungen zeigen, dass genau das bei vielen Menschen mit der Zeit zu Gelenkproblemen führen kann. Warum werden dennoch so viele Schuhe mit Dämpfung und Stützelementen verkauft. Ganz einfach, ein Schuh mit viel Hightech und Stütz- und Führelementen lässt sich einfacher verkaufen als ein Schuh mit flacher Sohle und ohne Dämpfung.
Lauf-Trend Natural Running
Puristen und Natural Running Anhänger verfolgen dagegen einen anderen Ansatz. Sie beobachten insbesondere Kinder beim Laufen. In jungen Jahren ist unser Laufstil noch nicht antrainiert, sondern wir bewegen uns ganz natürlich. Und gerade barfuß gibt es keinen sozialen Einfluss auf unseren Laufstil. Und siehe da, Kinder landen beim Laufen intuitiv auf dem Vorfuß oder setzen mit dem gesamten Fuß auf. Lediglich beim Gehen erfolgt der erste Bodenkontakt über die Ferse. Dabei können die Übergänge durchaus fließend sein.
Es scheint also eine Frage der Geschwindigkeit zu sein. Gibt es möglicherweise gar nicht den optimalen Laufstil? Beim Gehen setzen Kinder mit der Ferse zuerst auf und mit zunehmender Geschwindigkeit bis hin zum Sprint wird der Bodenkontakt immer weiter Richtung Vorfuß verlagert. Und jeder der selber mal barfuß gelaufen ist, wird das sicherlich nachvollziehen können: Bei hohen Geschwindigkeiten ist ein Aufsetzen mit der Ferse schmerzhaft und kann somit auch als unnatürlich bezeichnet werden.
Natural Running ist mehr als ein Trend
Folgt man dieser Argumentation, hat der ideale Laufschuh eine flache Sohle, kaum Dämpfung und eine geringe Fersensprengung. Und genau dieser Trend lässt sich derzeit auf dem Laufschuhmarkt beobachten. Fast jeder Hersteller bietet mittlerweile ein Laufschuhkonzept für Natural Running Freunde. Einer der ersten war die Firma Nike mit ihren Nike Free-Modellen. Aber auch kleinere Hersteller wie K-Swiss mit dem Blade Light Run, Newton mit dem Stability Racer oder der Ecco Biom fallen in diese Kategorie. So unterschiedlich die Konzepte auch sind, ganz auf eine dämpfende Wirkung verzichtet keiner.
Ein besonders puristischer Vorreiter dieses Trends ist aber der Five Fingers von Vibram. Statt einer Sohle mit Dämpfungseigenschaften hat man lediglich eine Membran unter den Füßen, die den Fuß vor Verletzungen beispielsweise durch Glasscherben schützt. Ansonsten hat man mit dem Five Fingers tatsächlich reines Barfußlauf-Vergnügen. Dabei ist Design sicherlich Geschmacksache und kaum für den Massenmarkt geeignet. Einen ähnlichen Ansatz aber ohne die separaten Zehen verfolgt die Firma New Balance mit ihrem Minimus Konzept. 2011 bringt der US-Hersteller einen minimalistischen Trail Schuh mit Vibram-Sohle auf den Markt.
Was heißt das jetzt für den Laufschuh-Käufer?
Die Wahl des richtigen Schuhs wird nicht wirklich einfacher und man sollte im Zweifel einen Experten zu Rate ziehen. Für die meisten Läufer ist aber in jeden Fall ein Neutralschuh die richtige Wahl. Mögliche Fußfehlstellungen oder Gelenkprobleme kann man dann optimal mit individuellen sensomotorischen oder orthopädischen Einlagen korrigieren. Nur für einen ganz kleinen Teil der Läufer ist tatsächlich einen gestützter Schuh die richtige Wahl.
Vorsicht Fersensprengung
Um ungewünschte Belastungen durch Laufschuhe zu vermeiden, solltest Du auch auf eine geringe Fersensprengung achten. Unter Fersensprengung versteht man die Absatzhöhe. Umso höher die Ferse im Vergleich zur Vorfußdämpfung ist, desto eher neigt man zum Rückfußlauf. Wem die derzeitigen Natural Running Modelle nicht gefallen, der fährt auch mit einem Wettkampfschuh gut. Diese haben traditionell wenig Dämpfung und eine flache Sohle. Zumal die Dämpfung ja auch Energie schlucken würde, die man bei schnelleren Läufen eigentlich in Vortrieb umwandeln möchte. Lediglich sehr schwere Läufer sollten auf etwas mehr Dämpfung achten und im Zweifel eine Laufstilanalyse beim Fachmann durchführen lassen.