Psychologie: Was macht die „Faszination Fußball” aus?
- Marco Heibel
Nimmt man allein die TV-Quoten als Gradmesser, sind Olympische Spiele und nicht die Fußballweltmeisterschaft das Sportereignis Nummer eins. Das liegt allein schon daran, dass die drei bevölkerungsreichsten Länder der Erde (China, Indien und USA) bislang mit dem Spiel ums runde Leder noch nicht so richtig warm geworden sind. Für die meisten Länder Europas, Südamerikas und Afrikas gilt jedoch: Fußball ist die Sportart Nummer eins, und eine Fußball-WM der größte Einzel-Sportevent. Das ist der heutige Stand. Doch wie konnte der Fußball überhaupt so groß werden?
Fußball: Ein einfaches Spiel kommt einfach an
„Die besondere Faszination des Fußballs liegt zu einem großen Teil in seiner Einfachheit“, sagt Jens Heuer, Sportpsychologe aus Münster. „Zum Fußballspielen braucht es nicht viel. Ein Ball, ein wenig Platz und einige Mitspieler, schon kann es losgehen. Die Möglichkeit, Fußball zu spielen, ist überall auf der Welt gegeben“, fährt Heuer fort. Selbst das Problem nicht vorhandener Tore lässt sich mittels Bäumen, Tonnen oder Taschen immer irgendwie lösen.
Die Einfachheit des Spiels geht aber noch weiter: Während z.B. im Basketball ein Korb je nach Situation mal einen, mal zwei und mal drei Punkte wert ist, zählt ein Treffer im Fußball immer gleich viel; ob es sich um einen Abstauber aus zwei Metern oder einen Kunststoß aus schier unglaublichem Winkel handelt, spielt keine Rolle.
Darüber hinaus ist häufig ein Tor nicht bloß ein Tor: „Im Handball oder im Basketball ist ein Tor oder ein Korb ein normaler Bestandteil des Spiels, im Fußball ist es eine echte Rarität. Und bereits das erste Tor kann eines Spiels kann das letzte und somit das entscheidende sein“, sagt Sportpsychologe Jens Heuer.
Fußball ist unberechenbar
„Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie das Spiel ausgeht“, hatte schon der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger gewusst. Und in der Tat enden Spiele und Turniere nicht immer so, wie man es erwartet. Bayern München wird eben nicht jedes Jahr Deutscher Meister, und auch die brasilianische Nationalmannschaft holt nicht jedes Mal den WM-Titel. Der Fußball lebt einfach von der Überraschung, ebenso wie von den Details, die einen Spielverlauf beeinflussen und dem „hätte…wäre…wenn.“
Die Liebe zum Fußball wird weitervererbt
In Europa, Afrika oder Südamerika kommt man in aller Regel schon in frühesten Kindertagen mit dem Fußball in Berührung. Im engeren Umfeld gibt es immer irgendjemanden, der die Liebe zum Fußball weitervererbt. Oft genügt es schon, wenn man zum Geburtstag einen Ball geschenkt bekommt. Oder wenn man vom Vater einfach einmal mit ins Stadion genommen wird. Egal, wie das Spiel dann ausgeht; meistens ist dies die Geburtsstunde einer lebenslangen „Liebesbeziehung“.
Fußball schafft Identifikation
Fußball ist aber auch ein Motivationsspender. Gerade in ärmeren Ländern stellt der Fußball eine der wenigen Möglichkeiten auf gesellschaftlichen Aufstieg dar. Bei allen Schattenseiten (Stichwort: Kinderhandel mit „Rohdiamanten“ aus der Dritten Welt), trägt dies doch enorm zur Identifikation mit dem Spiel und seinen Stars bei, wie Sportpsychologe Jens Heuer ausführt: „Fußballhelden sind für viele Jungen und Mädchen Identifikationsfiguren. Erfolg auf der Weltbühne des Fußballs dient als Projektionsfläche für eigene Wünsche und Sehnsüchte. Die Fußballstars – und wir mit ihnen – durchleben grandiose Triumpfe ebenso wie tragische Niederlagen.“
Fußball verbindet Menschen
Bald steht mal wieder eine Fußball-Weltmeisterschaft an. In den Stadien, aber auch beim Public Viewing oder in Kneipen wird man dann wieder einen Eindruck erhalten von der verbindenden Kraft des Fußballspiels. Man bildet gemeinsam mit den anderen Anwesenden eine Art (Leidens-)Gemeinschaft: „Nahezu jeder Mensch empfindet es als lustvoll und beschwingend, in einer Gruppe Gleichgesinnter Rauschhaft-Besonderes zu erleben. Je größer die Fangemeinde eines Teams ist, umso stärker kann das positive Erleben ausfallen“, erläutert Sportpsychologe Jens Heuer.
Ein Beispiel: Ein Sieg nach einem 0:2-Rückstand ist ohnehin schon eine Seltenheit und ein Anlass für einen heftigen Adrenalinausstoß. Doch wenn man eine solche Erfahrung in der Gemeinschaft macht, stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich die Atmosphäre und die Emotionen einbrennen und auch Jahre später noch auf Abruf eine Gänsehaut erzeugen können.
Fußball ist aber auch ein Gleichmacher – und zwar im positivsten Sinne. Vor der WM 1998 in Frankreich prophezeite man dem Gastgeber nur Außenseiterchancen auf den Titel. Eine Truppe, in der sich verschiedenste Kulturen vermischten („echte“ Franzosen, aber auch solche mit asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Wurzeln), galt vielen Experten als zu inhomogen. Am Ende wurde die Mannschaft um Superstar Zinédine Zidane, einen Sohn algerischer Immigranten, Weltmeister. Dieser Titel hat in unserem Nachbarland (zumindest phasenweise) mehr zum Verständnis der Kulturen untereinander beigetragen als jede Integrationsmaßnahme der Politik.
Experte: Jens Heuer; www.bestleistung.com
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Jens Heuer ist Sportwissenschaftler und Sportpsychologe für Leistungssport in Hamburg und Münster. Sein Fachgebiet ist Individuelles Coaching für Sportler, Teams und Trainer in Fragen der Leistungserbringung und Wettkampfvorbereitung. Er selbst war leistungssportlich u.a. im Tennis, Langstreckenlauf und Triathlon aktiv.
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Fachgebiet: Individuelles Coaching für Sportler, Teams und Trainer in Fragen der Leistungserbringung und Wettkampfvorbereitung