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Die größten WM-Sensationen

  • Marco Heibel
Sepp Herberger sagte einmal den schönen Satz „Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.“ Das gilt auch für Weltmeisterschaften: Brasilien wird nicht immer Weltmeister, und ein „Kleiner“ stößt schon mal unerwartet ins Halbfinale vor. Die netzathleten erinnern an die größten Sensationen der WM-Geschichte.

WM 1950 in Brasilien – Die USA schlagen Lehrmeister England


Wie bereits im Artikel „Kurioses aus der WM-Geschichte Teil 1“ angerissen, sind die USA für die erste große Sensation der WM-Historie mitverantwortlich. Normalerweise eine der führenden Sportnationen, zählen die amerikanischen Fußball-Herren seit jeher nicht zur absoluten crème de la crème. Insofern räumte man ihnen auch im Vorfeld der WM 1950 keine Chance ein – erst recht nicht gegen die Engländer.

Das selbst ernannte „Mutterland des Fußballs“ nahm damals zum ersten Mal überhaupt an einer WM-Endrunde teil. Bis dato hatte England nur Freundschaftsspiele bestritten, weil der Verband der Ansicht war, dass auch ohne eine WM jeder wisse, dass die „Three Lions“ das beste Team der Welt stellen. 1950 wollte der Verband es der Welt dann ein für allemal beweisen und schickte seine besten Spieler nach Brasilien.



Nach dem lockeren 2:0 gegen Chile im ersten Gruppenspiel beging Trainer Walter Winterbottom vor der Partie gegen die USA einen folgenreichen Fehler: Er schonte seine besten Spieler. Dumm nur, dass das Spiel so gar nicht nach den Wünschen der Engländer verlief: Die USA gingen in der 38. Minute durch Joe Gaetjens in Führung. Einwechslungen waren damals noch nicht erlaubt, sodass der Coach keine Chance mehr hatte, seinen Fehler irgendwie auszubügeln. Letztlich blieb es diesem Ergebnis.

Die Engländer erholten sich von diesem Schock nicht mehr. Sie verloren auch ihr drittes Gruppenspiel gegen Spanien mit 0:1 und schieden bereits in der Vorrunde aus.


Zumindest in Deutschland kennt fast jedes Kind die Geschichte des „Wunders von Bern“. Und trotzdem erinnert man sich immer wieder gerne daran. Deutschland war erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder an einer WM teilnahmeberechtigt und wurde gleich in die Vorrundengruppe des großen Turnierfavoriten Ungarn gewählt.

Die Südosteuropäer hatten 1952 Olympiagold geholt, 1953 als erstes Team vom Kontinent die Engländer in Wembley geschlagen und waren seit drei Jahren ungeschlagen. Fast folgerichtig marschierten die Ungarn ins Finale: 9:0 gegen Südkorea, 8:3 gegen die deutsche Zweitvertretung, 4:2 gegen Brasilien, 4:2 gegen Uruguay.

Der Weg der DFB-Elf war da schon steiniger. Einem 4:1 gegen die Türkei folgte die besagte 3:8-Pleite gegen die Ungarn, nach der die deutsche Presse laute Kritik an Bundestrainer Sepp Herberger übte. Ein 7:2 im Entscheidungsspiel gegen die Türken brachte den Einzug ins Viertelfinale, wo ein 2:0 gegen Jugoslawien erkämpft wurde. Zu einem Glanzpunkt wurde das 6:1 im Halbfinale gegen Österreich, das jedoch nichts daran änderte, dass Gegner Ungarn im Finale der haushohe Favorit war.

Und wer weiß, was passiert wäre, wenn am Morgen des Finaltages kein Landregen eingesetzt hätte, der das Kurzpassspiel der Ungarn von Minute zu Minute erschweren sollte? Oder wenn die Ungarn nach ihrer frühen 2:0-Führung nur eine ihrer zahlreichen weiteren Chancen genutzt hätten? So aber konnten die Deutschen vor der Halbzeit wieder ausgleichen, in der 84. Minute durch Helmut Rahns legendären Schuss aus dem Hintergrund mit 3:2 in Führung gehen und diesen Vorsprung dann gegen anrennende Ungarn über die Zeit retten.

Am Ende stand die bis dahin größte Sensation des Weltfußballs. Deutschland wurde an diesem Tag endgültig zur Fußballnation und begründete seinen Ruf, dass man diese Mannschaft auch nach Rückständen nie abschreiben darf. In den folgenden 56 Jahren wurde dies mehrfach bestätigt; Fortsetzung bei der WM 2010 durchaus erwünscht…

Nicht zu vergessen die Ungarn: Ihre „Goldene Generation“ steht exemplarisch für das Scheitern zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Das kleine Land hat an diesem 4. Juli 1954 seine einzige Chance auf die WM-Krone vertan. Denn es müssen schon einige historische und genetische Zufälle zusammenkommen, dass solche ein kleines Land eine Generation hervorbringt, die das Zeug zum Weltmeister hat – nachzufragen unter anderem auch bei den Bulgaren von 1994 oder den Kroaten von 1998, doch dazu später mehr.


Nordkorea ist nicht nur auf der Fußballlandkarte eher ein weißer Fleck. Man weiß nicht allzu viel über diese kommunistische Diktatur. So ist es im Vorfeld der WM 2010, für die sich Nordkorea zum zweiten Mal in seiner Geschichte qualifiziert hat, und so war es auch bei der ersten Teilnahme 1966 in England.

Damals galt Nordkorea in der Gruppe 4 als krasser Außenseiter. Immerhin traf man auf Chile, Dauer-WM-Favorit Italien und die stark eingeschätzte Sowjetunion. Nach einem 0:3 zum Auftakt gegen die Sowjetunion und einem 1:1 gegen Chile waren die Asiaten denn auch so gut wie draußen. Zwar konnten sie den Einzug ins Viertelfinale vor dem letzten Gruppenspiel mit einem Sieg gegen die „Squadra Azzurra“, doch wer hätte das schon für möglich gehalten?

Die Italiener haben es jedenfalls nicht getan. Sie unterschätzen den Underdog und verloren durch ein Tor des Zahnarztes Pak Doo Ik mit 0:1. In der italienischen Mannschaft standen Spieler wie Albertosi, Burgnich, Facchetti oder Rivera, die vier Jahre später das WM-Finale erreichen sollten. Nach dieser Schmach wurden sie in der Heimat mit Tomaten beworfen.

Die Nordkoreaner hätten im Viertelfinale beinahe noch ein weiteres Mal Geschichte geschrieben. Gegen das Team Portugals um den späteren WM-Torschützenkönig Eusebio lagen sie bereits 3:0 in Front, verloren jedoch noch mit 3:5.

Für eine solche Überraschung wie in England 1966 wird die aktuelle Spielergeneration der Nordkoreaner kaum sorgen. Zum einen, weil sie es in der sogenannten „Todesgruppe“ G mit Brasilien, Portugal und der Elfenbeinküste zu tun bekommen; zum anderen, weil die Mannschaft mit einem ultrakonservativen 5-3-2 System mit Ausputzer hinter der Abwehr und drei defensiven Mittelfeldspielern erwartet wird.


Die WM 1990 in Italien begann gleich mit einem Paukenschlag. Damals bestritt noch der Titelverteidiger das Eröffnungsspiel, in diesem Fall die Argentinier um Diego Maradona. Die „Gauchos“ trafen auf Kamerun. Die Prognosen fielen nicht schwer: Die Argentinier würden mit den Afrikanern leichtes Spiel haben, zumal es bis dahin noch keiner schwarzafrikanischen Mannschaft gelungen war, überhaupt ein WM-Spiel zu gewinnen.

Doch es sollte ganz anders kommen. Kamerun spielte unbekümmert gegen pomadige Argentinier und ging folgerichtig in der 65. Minute durch Francois Omam-Biyik mit 1:0 in Führung. Die Argentinier fanden keine Antwort mehr, selbst nicht nach den zwei Platzverweisen für die Kameruner Kana und Massing.

Nach einem 2:1-Sieg gegen Rumänien im zweiten Gruppenspiel (durch zwei Tore des 38-jährigen Stürmers Roger Milla, auch so einer „Entdeckung“ dieser WM) war der Einzug ins Achtelfinale sichergestellt. Daran änderte auch ein 0:4 gegen die bereits ausgeschiedene Sowjetunion im dritten Gruppenspiel nichts mehr.

Im Achtelfinale bekam es Kamerun dann mit den Kolumbianern zu tun. Deren ausflugfreudiger Torhüter René Higuita hatte mit einem Ballverlust außerhalb des eigenen Strafraums einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass Afrikas Traum vom ersten WM-Titel weiter geträumt werden durfte. Kamerun siegte durch zwei weitere Tore von Roger Milla mit 2:1 nach Verlängerung.

Im Viertelfinale führte Kamerun gegen England mit 2:1 und schnupperte schon am Halbfinale gegen Deutschland. Doch die Weltstars von der Insel um Gary Lineker und Paul Gascoigne konnten den Spieß noch einmal umdrehen und mit 3:2 nach Verlängerung die Oberhand behalten. Kamerun war draußen, doch seit der WM in Italien ist Afrika ins Bewusstsein vieler Fußballexperten gerückt. Nigeria 1994 und 1998 sowie der Senegal 2002 verblüfften in der Folge ebenfalls durch gute Resultate, für den ganz großen Wurf einer afrikanischen Mannschaft hat es aber (noch) nicht gereicht.


Am 10. Juli 1994 sind ganze Weltbilder zusammengestürzt. Zumindest die Generation der damals 10- bis 20-jährigen konnte sich kaum an eine ähnliche Blamage erinnern wie die des Titelverteidigers Deutschland im Viertelfinale gegen Bulgarien. Deutschland konnte in der Vergangenheit bei Turnieren so schlecht spielen wie es wollte – mindestens das Halbfinale wurde trotzdem immer irgendwie erreicht.

Bloß an diesem Sonntag im New Yorker Giants Stadium liefen die Dinge nicht wie gewohnt. Deutschland spielte schwach – so weit, so normal – und ging kurz nach der Pause durch einen von Lothar Matthäus verwandelten Foulelfmeter in Führung. Wenig später traf Andreas Möller den Pfosten, Rudi Völler staubte aus wenigen Metern zum 2:0 ab. Dummerweise stand Völler im passiven Abseits, um beim Abstauben dann doch durchaus aktiv zu werden. So war das Spiel nach wie vor offen.

In der 76. Und 78. Minute geschah dann das Unfassbare. Bulgarien ging durch einen direkt verwandelten Freistoß von Hristo Stoitchkov und einen Kopfballtreffer von Yordan Letchkov mit 2:1 in Führung. Deutschland konnte nicht mehr kontern, Bulgariens „Goldene Generation“ um Stoitchkov, Balakov oder Kostadinov stand im Halbfinale. Dort war gegen Italien bzw. einen überragenden Roberto Baggio Endstation.

Deutschland, das mit neun Weltmeistern von 1990 ins Spiel gegangen war – der zehnte, Andreas Brehme, wurde später noch eingewechselt – hatte den Umbruch verpasst und war über den Zenit.


Bereits bei der Europameisterschaft 1996 war es im Viertelfinale zum Duell Deutschland gegen Kroatien gekommen. Damals brachten die Kicker vom Balkan den späteren Europameister bereits an den Rand einer Niederlage, unterlagen jedoch aufgrund ihrer überzogenen Aggressivität und des bekannten deutschen Dusels mit 1:2.

Zwei Jahre später kam es im Viertelfinale der WM in Lyon zur Neuauflage. Deutschland, das mit einer Alt-Herren-Truppe angetreten war (Lothar Matthäus, 37; Andreas Köpke, 36; Jürgen Klinsmann, 34; Jürgen Kohler, 33 und acht weiteren Spielern jenseits der 30), kam mehr schlecht als recht ins Turnier. Im zweiten Gruppenspiel gegen Serbien & Montenegro holte man nur mit Glück einen 0:2-Rückstand auf, und auch im Achtelfinale gegen Mexiko erzielte Oliver Bierhoff erst fünf Minuten vor Schluss den 2:1-Siegtreffer.

Gegen die Kroaten machte Deutschland erstaunlicherweise sein bestes Spiel im Turnier, war näher am ersten Tor als der Gegner. Doch in der 40. Minute foulte Christian Wörns den kroatischen Stürmerstar und späteren WM-Torschützenkönig so hart, dass er vom Platz gestellt wurde. Danach kam es zum Bruch im deutschen Spiel. Mit dem Pausenpfiff brachte Robert Jarni die Kroaten in Front.

Bundestrainer Berti Vogts brachte in der zweiten Halbzeit mit Ulf Kirsten und Olaf Marschall die Stürmer drei und vier. Doch es nützte alles nichts. Vlaovic und Suker erhöhten in der Schlussphase auf 3:0, Deutschland wurde gedemütigt und musste die Heimreise antreten.

Kroatien brachte im Habfinale auch den späteren Weltmeister Frankreich an den Rande einer Niederlage, hatte jedoch das Nachsehen. Zumindest den dritten Platz sicherte sich die „Goldene Generation“ der Kroaten (Suker, Boban, Prosinecki, Soldo, Jarni und noch viele mehr) durch ein 2:1 gegen die Niederlande. Nicht auszudenken, was möglich gewesen wäre, wenn das ehemalige Jugoslawien nicht zerfallen wäre und die kroatischen Stars noch in einer Mannschaft mit Spielern wie Mijatovic, Savicevic oder Zahovic gestanden hätten.


Die WM 2002 in Japan und Südkorea ist in mehrerlei Hinsicht in die Geschichte eingegangen. Zum einen war es das erste Mal, dass eine WM-Endrunde weder in Europa noch in Amerika ausgetragen wurde – mit dem unschönen Nebeneffekt, dass die Spiele nach Mitteleuropäischer Zeit häufig vormittags ausgetragen wurden.

Noch wesentlich bemerkenswerter ist jedoch, dass bei diesem Turnier auch sportlich die Uhren irgendwie anders liefen: Die Niederlande war erst gar nicht qualifiziert. Und Titelverteidiger Frankreich verabschiedete sich ohne ein einziges erzieltes Tor bereits nach der Vorrunde aus dem Turnier – und das mit drei Torschützenkönigen aus drei europäischen Topligen im Aufgebot (Henry in England, Trezeguet in Italien und Cissé in Frankreich).

Nicht viel besser machten es die Argentinier. Der zweite große Favorit auf den Titel holte nur vier Punkte in der Vorrunde und musste den Schweden und den Engländern den Vortritt lassen.

Last but not least blieben auch die Portugiesen bereits in der Vorrunde auf der Strecke. Figo & Co. verloren gegen die USA und Südkorea, der 4:0-Sieg gegen Polen reichte nicht zum Weiterkommen. Italien musste im Achtelfinale die Segel streichen, im Viertelfinale traf dieses Schicksal u.a. England und Spanien.

Wo Favoriten straucheln, da müssen auch so genannte „Kleine“ profitieren. Und so war es auch. WM-Debütant Senegal bezwang die Franzosen im Eröffnungsspiel und erreichte das Viertelfinale. Co-Gastgeber Japan gewann seine Vorrundengruppe und schied äußerst unglücklich im Achtelfinale gegen die Türkei aus. Die USA erreichten das Viertelfinale und mussten gegen Deutschland nur deshalb die Heimreise antreten, weil Torhüter Oliver Kahn an diesem Tag wirklich alles gelang.

Für die eigentliche Überraschung sorgten aber die Halbfinalisten Südkorea und die Türkei. Co-Gastgeber Südkorea profitierte enorm von der Unterstützung seiner Fans (und auch einiger umstrittener Schiedsrichterentscheidungen im Achtelfinale gegen Italien und im Viertelfinale gegen Spanien) und verlor erst im Halbfinale durch ein Tor von Michael Ballack mit 0:1.

Die Türken hatten – wie im Übrigen auch die Deutschen – bei ihrer ersten WM-Teilnahme seit 1954 eine ordentliche Portion Losglück. Abgesehen von Brasilien in der Vorrunde, pflasterten solche Giganten wie China, Costa Rica, Japan und der Senegal ihren Weg. Erst im Halbfinale trafen die Türken wieder auf einen „Brocken“, nämlich Vorrundengegner Brasilien. Die Seleçao behielt mit 1:0 knapp die Überhand.

Im Spiel um Platz drei zwischen den beiden Überraschungsmannschaften Südkorea und Türkei behielten die Männer vom Bosporus mit 3:2 die Oberhand. In diesem Spiel fiel im Übrigen auch das schnellste Tor der WM-Geschichte. Hakan Sükür erzielte nach 11 Sekunden das 1:0 für die Türken.

Zu guter Letzt kam es noch zu einer weiteren „Sensation“: Es ist nämlich in der Tat sensationell, dass es bis zum Finale der 17. Weltmeisterschaft gedauert hat, ehe sich die beiden erfolgreichste Nationen der WM-Geschichte, Brasilien und Deutschland, erstmals bei einer WM-Endrunde gegenüber standen. Der Ausgang ist bekannt, Brasilien gewann 2:0 durch zwei Ronaldo-Tore.

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