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Spiel mit dem Feuer (3) – Interview mit einem Fan aus Sachsen
- Derk Hoberg
Den Kontakt zu dem Fan aus Sachsen, der namentlich nicht genannt werden möchte, stellte Jannis Linkelmann her – seines Zeichens Mitwirkender am Projekt Fankultur.com und Co-Autor von Dr. Martin Thein bei: „Alles für den Club – eine Feldstudie zu den Ultras Nürnberg 1994“ – wofür wir uns herzlich bedanken. Der Fan aus Sachsen ist Student, ein Kenner der Szene und von Kindesbeinen Fan von Dynamo Dresden.
netzathleten: Wie empfindest Du als Fan die Entwicklung der deutschen Fanszene in den vergangenen Jahren? Hat die Gewalt wirklich zugenommen?
Fan aus Sachsen: Das kann man so nicht sagen. In meinen Augen sind das zwei Faktoren, die hier zusammenkommen: Erstens: Aggressivität gehört zum Fußball dazu, das macht den Reiz aus, sowohl auf dem Platz, als auch auf den Rängen. Je emotionaler die Stimmung aber ist, desto schmaler ist der Grat, dass einige über das gute Maß hinausgehen und im Übereifer reagieren. Zweitens: Die öffentliche Wahrnehmung. Auf eine journalistisch ausgewogene Berichterstattung wird teilweise keinen Wert gelegt, denn schließlich verkaufen sich „prügelnde Horden“ besser als stimmgewaltige, aber friedliche Fans. Auch dieses Messen mit zweierlei Maß, wie in der letzten DFB-Pokal-Runde gesehen, trägt dazu bei, dass sich dem Nicht-Insider der Eindruck aufdrängt, dass das der ganz normale Fußball-Alltag ist.
netzathleten: Bist Du selbst schon einmal mit Gewalt im oder um das Stadion in Berührung gekommen?
Fan aus Sachsen: Noch nie mit körperlicher Gewalt. Klar gibt es im Fan-Block mal den ein oder anderen bissigen Kommentar, wenn sich Leute vordrängeln, Urwald-Laute von sich geben o.ä. Allerdings bewegte sich das alles immer auf einer verbalen Ebene.
netzathleten: Was stört Dich bei Stadionbesuchen?
Fan aus Sachsen: Auch hier gibt es zwei störende Punkte: Zunächst das teilweise unverhältnismäßiges Verhalten der Polizei: beispielsweise wollte mir einmal ein Polizist bei einem Heimspiel eine Banane (!) abnehmen, mit der Begründung, ich könnte sie als Wurfgeschoss missbrauchen. Zweitens die Sektorentrennung im Heimbereich von Stadien. Damit meine ich nicht die Block-Trenner, sondern Rolltore, o.ä. Es liegen teilweise sachgerecht ausgearbeitete Konzepte der Ultra-Gruppierungen vor, die klar belegen, dass eine Entfluchtung auch ohne diese möglich ist.
netzathleten: Gäbe es ohne Ultra-Gruppierungen keine Stimmung in deutschen Stadien?
Fan aus Sachsen: Das muss nicht sein, eine Ultra-Gruppierung ist kein Garant dafür, dass immer gute Stimmung herrscht. Aber Fakt ist: Bei einem 0:3 gegen die eigene Mannschaft werden die Ultras nicht das Stadion in der 80. Minute verlassen, wie manch „Applaudier-Besucher“. Die Stimmung wirkt durch die Ultra-Gruppen deutlich koordinierter und dadurch auch imposanter, was man ja an einigen tollen Choreographien sieht.
netzathleten: Außenstehenden erscheinen Ultras aber gerade als Ursprung der Gewalt. Auch, weil sie sich häufig nicht klar von der Bereitschaft zur Gewalt distanzieren. Ist das für Dich nachvollziehbar?
Fan aus Sachsen: Das ist natürlich nachvollziehbar, das müssen sich die Ultras sicherlich auch auf ihre Kappe schreiben, dass das teilweise zu lange geduldet wurde. Leider gibt es aber auch einige Trittbrettfahrer, die weder Ultras, noch Fußball-Fans sind. Es fehlt mir aber manchmal auch die nötige Differenzierung zwischen Hooligans und Ultras bzw. Ausschreitungen und Pyrotechnik. Die Ultras mit Gewalttätern gleichzusetzen ist schlichtweg falsch und diffamiert eine sehr große Zahl junger Menschen. Die Ultras sind ja nicht nur am Spieltag aktiv, sondern auch unter der Woche trifft man sich, bereitet das nächste Spiel vor. Gerade für junge Leute hat das in meinen Augen auch eine sozialisierende Komponente, wie finde ich Kompromisse mit meinen Mitmenschen, etc.
Um auf das Beispiel Dortmund zurückzukommen: Bereits 3 Tage nach dem Spiel distanzierten sich die Dresdener Ultras von der Gewalt, den Böller-Würfen und dem Entsorgen von bengalischen Fackeln auf dem Spielfeld. Aber noch Tage danach sprachen Medienvertreter und Fußball-Funktionäre davon, dass die Ultras die Geschehnisse guthießen.
Die Ultras sind letztlich nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, es finden sich zumeist junge Leute aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammen. Aber der Zusammenhalt für einen Verein lässt diese Unterschiede verschwinden, und zwar durch bedingungslose Unterstützung. Das verbinde ich persönlich mit den Ultras. Durch die vielen verschiedenen Charaktere ist Gewalt leider immer ein Thema, aber mal ganz ehrlich, das ist immer so, wenn es sich um eine große Anzahl von Menschen handelt, die ein so breites gesellschaftliches Spektrum repräsentieren.
netzathleten: Warum gibt es nicht mehr Selbstregulierung innerhalb dieser aktiven und kreativen Fanszene, um ausschließlich positiv Aufzufallen. Macht man sich das Leben nicht selbst etwas schwer dadurch?
Fan aus Sachsen: Das ist ein ganz schmaler Grat, auf dem man da wandert. Es gibt klare Regeln, wie man sich im Fan-Block beim „harten Kern“ zu verhalten hat und von Seiten der Ultras ist diese Selbstregulierung auch ein klar definiertes Ziel, man möchte nicht, dass Ordner oder die Polizei eingreifen (müssen).
Eine Selbstregulierung fällt aber manchmal so schwer, weil es bei vielen Tausend Fans auf die Verantwortung eines jeden einzelnen ankommt. Diese Strukturen, dass Vergehen IM Block VOM Block geahndet werden, können nur langsam wachsen, weil man sich als „Fan-Ordnungsdienst im Block“ den Respekt erst verdienen muss.
Außerdem sind die Ultras letztlich Besucher im Stadion wie alle anderen auch, was heißt, dass sie keine Privilegien haben, andere Leute aus dem Block zu werfen, wenn etwas vorgefallen ist. Sie können diejenigen Personen nur dem Ordnungsdienst übergeben, wie zuletzt im Spiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Dynamo Dresden geschehen.
netzathleten: Was fehlt Euch Fans in der aktuellen Diskussion des Themas, die derzeit in den Medien stattfindet?
Fan aus Sachsen: Ganz klar die Objektivität. Gewalt hat im Stadion nichts zu suchen, da sind sich alle einig.
Allerdings darf es nicht zu einer Vermischung von verschiedenen Themen kommen, Stichwort Pyrotechnik. Gewalt hat nichts mit Pyrotechnik zu tun, es wird in den Medien im Moment aber oftmals gleichgesetzt, scheinbar bewusst, um zu polarisieren und die Ultras in eine Ecke zu schieben, wo der Eindruck entsteht, dass sie das personifizierte Böse im Stadion sind, die nur auf Krawalle aus sind.
Besonders ärgerlich ist aus meiner Sicht, dass nicht das gesamte Spektrum des Problems betrachtet wird, sondern man sich nur an einem Teilproblem festklammert und dazu eine Facebook-Umfrage startet oder eine Telefon-Hotline schaltet. Da beteiligen sich viele Leute, die in ihrem Leben einmal in einem Fußball-Stadion waren und die Spiele sonst nur am Fernseher verfolgen. Anders kann ich mir beispielsweise die Rufe nach mehr Polizei-Präsenz nicht erklären. Wer öfter zum Fußball geht, auch zu sog. „Risiko-Spielen“, der weiß, dass es gerade an Polizisten nicht mangelt.
Es geht einfach darum zu beleuchten, dass nicht nur die Fan-Gruppierungen Fehler gemacht haben, sondern die Ordnungskräfte und DFB/DFL ebenso.
netzathleten: Und was von offizieller (Verein/Verband) Seite?
Fan aus Sachsen: Ein seriöses Auftreten gegenüber den Ultras, beispielsweise in Bezug auf die Pyro-Debatte. Warum wurde zu Saisonbeginn Gesprächsbereitschaft signalisiert, die nun negiert wird? Das hatte nichts mit einem respektvollen Miteinander zu tun. Ich bin mir sicher, ein Großteil der Vorfälle in den letzten Wochen lässt sich auch mit auf diese Tatsache zurückführen, was natürlich trotzdem keine Entschuldigung sein darf.
netzathleten: Kommen wir zur Pyrotechnik – bewusst abgegrenzt vom Thema Gewalt. Große Teile der Fanszene setzen sich hier für eine Legalisierung ein. Wie könnte das aussehen? Bestimmte Personen dürfen Bengalos in abgesteckten Bereichen abbrennen?
Fan aus Sachsen: Eine Variante war beispielsweise für den 18.09.2010 im Regionalliga-Spiel zwischen dem Chemnitzer FC und VfB Lübeck geplant: Damals wollte man in einem abgesperrten Bereich mehrfarbige Rauchfackeln zünden, leider entsprach der DFB nicht dieser Bitte, mit dem Kommentar, dass grundsätzlich Gesprächsbereitschaft bestünde, aber nicht zum damaligen Zeitpunkt. Im Sachsenpokalfinale zwischen dem Chemnitzer FC und dem FC Erzgebirge Aue wurde eine derartige Aktion – organisiert von beiden, eigentlich verfeindeten Fanlagern in Absprache mit der Polizei - allerdings genehmigt. Einige Eckpunkte könnten sein: die Festlegung eines Verantwortlichen oder fest definierte Zeitpunkte (z.B. Einlauf) und Bereiche im Block.
netzathleten: Was würde passieren, wenn auch andere Lust zum Zündeln verspüren würden? Auszuschließen ist das nicht…
Fan aus Sachsen: Das stimmt, komplett ausschließen lässt sich das Risiko nicht. Erfahrungsgemäß glaube ich aber, dass das Verlangen nach Pyrotechnik außerhalb des Fanblocks eher gering ist, da sich dort zumeist ein anderes Publikum befindet, also nicht der ganz harte Kern.
Diese wollen meist nur Fußball sehen und sich an der schönen Stimmung, initiiert durch den Fanblock, erfreuen, was ja legitim ist. Diese Gefahr sehe ich also nicht unbedingt. Und wenn doch, dann würde die Selbstregulierung durch die Ultras in diesem Fall wohl besser funktionieren, weil diese ihre Ziele dann in Gefahr sähen, nämlich ein legales Abbrennen von Pyrotechnik.
netzathleten: Der Zug scheint aber abgefahren, DFB und DFL haben der Legalisierung eine klare Absage erteilt. Rechnest Du mit weiteren „flammenden Protestaktionen“ im Fanblock?
Fan aus Sachsen: Ich denke, so geballt wie es in der 2. Runde des DFB-Pokals in allen Stadien ablief, wird es so schnell nicht wieder kommen, schon aus dem Grund, weil alle wissen, dass von offizieller Seite im Moment nur auf weitere Vorkommnisse gewartet wird, um besonders hart reagieren zu können. Aber es wird immer zu stimmungsvollen Pyro-Shows kommen, und ganz ehrlich, wenn es sich nur um bengalische Fackeln handelt und diese nicht auf dem Spielfeld oder in anderen Blöcken als Wurfgeschosse entsorgt werden, freue ich mich auch darüber, weil diese eine unheimlich stimmungsvolle Atmosphäre schaffen!
netzathleten: Abschließend, wie groß siehst Du die Kompromissbereitschaft der betreffenden Fangruppierungen?
Fan aus Sachsen: Die Fan-Gruppen sind mit offenen Armen und großer Kompromissbereitschaft auf den Verband zugegangen und wurden ein Stück weit hintergangen. Diese Enttäuschung wird sicher noch eine ganze Weile nachwirken. Allerdings wird die Aktion „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ weiter an dem Projekt arbeiten, aber sich sicher nicht mehr so leicht auf Absprachen mit dem Verband einlassen. Schließlich haben Fans mit ihren Böller-Würfen und der Gewalt dem ganzen Projekt einen großen Schaden zugefügt.
netzathleten: Vielen Dank für das Gespräch!
Hier geht es zu Teil 1 von "Spiel mit dem Feuer", dem Interview mit Fanforscher Dr. Martin Thein.
Hier findet Ihr den zweiten Teil, das Interview mit Christoph Preuß