
Sommernachtstraum
- nba-blog.de
4:30 Uhr, Belushi’s, Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin: „Dirk, Dirk, Dirk!“ Gefühlte vierzig Grad, ein knallvoller Laden, weshalb sich Leute sogar schon auf der Straße drängen, um das Spiel verfolgen zu können. Ausgelassene Stimmung, abwechselnde „Dirk“ und MVP-Rufe, johlen, Glückseligkeit. Für die meisten Basketballfans in Deutschland ein Tag, den sie nicht mehr vergessen werden, während man etwas bejubelt, was sich sechs Zeitzonen weiter westlich abspielt. Es fasst für mich vielleicht am besten das zusammen, was diese Finalserie und dieser Titel für Dallas bedeutet – angefangen bei der klaren Rollen- und Sympathieverteilung, die vor der Serie wie auch im Belushi’s offensichtlich war.
Die Serie wurde ja schon vorher hochstilisiert als Gut vs. Böse, Oldschool vs. Neue Generation, Team vs. Starpower. Tatsächlich ist es ja so, dass die Mavericks zuerst und vor allem als Team überzeugten, in dem immer wieder andere Spieler hervorstachen, in einer Serie ihre Nische fanden und sich so kurz ins Rampenlicht stellten. Auf der anderen Seite Miami, das wie kein Team zuvor auf reine individuelle Klasse setzte und in der Offensive das genaue Gegenteil von dem praktizierte, was man defensiv tat – man arbeitete kaum zusammen, es gab kaum Bewegung, es gab nur ein limitiertes Set an Systemen und wenn davon kaum etwas klappte, wusste man nicht mehr weiter. Im weiteren Sinne kann man sagen, dass Miami den Sinn des Basketballs als Teamsport nur an dem einen Ende des Courts begriffen hat – und somit mehr oder weniger vorhersagbar in die Niederlage schlitterte.
Den größten Unterschied in dieser Serie machten aber die Coaches aus. Auch wenn Rick Carlisle in der Vergangenheit öfter Kritik einstecke musste, hat er für mich einen fantastischen Job gemacht. Mit Peja Stojakovic einen Spieler aus der Rotation zu nehmen, der gerade in den ersten beiden Runden maßgeblichen Anteil am Erfolg hatte und mehr als 20 Minuten im Schnitt absolvierte, erfordert Mut. Mit J.J. Barea statt DeShawn Stevenson einen kleinen Starting Backcourt zu formen, mit der Starting Five an sich das Allerheiligste während einer Finalserie umzubauen, erfordert fast noch mehr Mut. Dass er es schaffte, Spieler wie Ian Mahinmi oder Brian Cardinal in die Rotation einzubauen, ohne dass diese die Mavericks sichttbar geschwächt hätten, grenzt an Genialität. Währenddessen schaute Erik Spoelstra mit einem Dauergrinsen, das den Schluss nahelegt, er hätte eine nicht zu knappe Injektion Botox verpasst bekommen, dabei zu, wie die Felle der Heat immer mehr davonschwammen. Er hatte kein Mittel parat, als Miami im zweiten Spiel ein Comeback zuließ, dass es ohne Probleme mit jenem der Celtics in Los Angeles 2008 aufnehmen kann. Natürlich war er auf seine Spieler angewiesen, die statt angesagter Spielzüge lieber ihr patentiertes „Wir dribbeln solange am Perimeter rum, bis nur noch vier Sekunden auf der Wurfuhr sind und nehmen dann den möglichst dämlichsten Dreier“ spielten. Aber er wurde trotzdem nach allen Regeln der Kunst ausgecoacht.
Wie sonst ist es zum Beispiel zu erklären, dass er auf Barea in der Startaufstellung erst reagierte,als die seinen mit 2:3 hinten lagen und jegliches Momentum auf Seiten der Mavericks war? Mario Chalmers hat die ganze Serie über stark gespielt, während Mike Bibby Dreier um Dreier auf den Ring setzen durfte und sich dann doch mal mit ein paar Treffern das Ticket für zwei weitere Auftritte in der Starting Five sicherte. Dass er da von Barea vorgeführt wurde, die Defense der Heat mit einem ständig attackierenden Guard gar nicht zurecht kam und so zusehends kollabierte, hat Spoelstra viel zu spät begriffen. Ebenso, dass der eigentlich in den Playoffs stark spielende Joel Anthony größtenteils unsichtbar war – was soll ein Shotblocker und Rebounder auch machen, wenn Dallas eigentlich kein Lowpost-Spiel besitzt, nicht übertrieben viel zum Korb zieht, sondern lieber mit viel Ballbewegung agiert? Dass Udonis Haslem der beste Verteidiger gegen Dirk Nowitzki war, wurde bei jedem, aber wirklich jedem Spiel sichtbar. Wieso wurde er nie in die Starting Five befördert? Wieso wurde Mike Bibby plötzlich komplett aus der Rotation verbannt und dafür Eddie House gebracht, der dann sogar im Schlussviertel Minuten bekam und Jason Terry verteidigen sollte? Wieso hat er kein effektives Mittel gegen die Zonenverteidigung gefunden, obwohl von Anfang an klar war, dass Dallas selbige oft nutzen wird? Sagen wir es so: Es war nicht gerade eine Glanzleistung, die Spoelstra in dieser Serie abgeliefert hat.
Natürlich liegt trotz allem der Triumph der Mavericks nicht allein am Versagen der Gegner,sondern vor allem an der eigenen Stärke. Sie waren eigentlich in jeder Serie von den meisten als Verlierer getippt worden, haben es aber trotzdem immer wieder allen gezeigt. Mir hat dieses sture Ausführen des eigenen Spielplans enorm gut gefallen, ebenso die Konsequenz, mit der verteidigt wurde und die aus einem Team mit ein paar guten Verteidigern und Tyson Chandler das defensiv beste der gesamten Playoffs gemacht hat. Auch wenn das Defensive Rating vielleicht sagt, dass andere Teams weniger Punkte zugelassen haben (ich weiß es nicht) – kein Team hat so kreative Defensivtaktiken gespielt, kein Team hat es mit vergleichsweise stumpfen Waffen geschafft, die Stars der Gegner derart zu beschneiden. Der vielleicht am meisten unterschätzte Aspekt des Playoff-Runs ist, dass Dallas mit Kevin Durant, LeBron James, Dwyane Wade und Kobe Bryant vier der besten fünf Spieler der Liga, die nicht Dallas in spielen, aus dem Weg geräumt hat (hätte New Orleans um Chris Paul den sechsten Seed erreicht, wären es sogar alle fünf geworden) – mit einem 38-jährigen Kidd, der in der Vergangenheit viel Kritik für seine Verteidigung einstecken musste, mit DeShawn Stevenson und Shawn Marion als überdurchschnittlich gute Verteidiger am Perimeter, mit sehr guter Teamdefense und vor allem mit viel, viel Herz und Einsatz.
Was bleibt, ist die Bewertung dessen, was Dirk Nowitzki in diesem Frühjahr erreicht hat. Allein mit dem Erreichen der Finals hat er endgültig jene verstummen lassen, die in ihm den ewigen Loser sahen. Er hat zum ersten Mal seit den Rockets um Hakeem Olajuwon 1994 gezeigt, dass man mit einem Superstar und den richtigen Puzzleteilen drum herum den Titel holen kann (auch wenn ich argumentieren würde, dass Tim Duncan 2003 mit den Spurs das gleiche tat) – es ist etwas, was weder Charles Barkley, noch Karl Malone, noch Patrick Ewing von sich behaupten können und das ihn endgültig in die Top 20, vielleicht sogar Top 15 der NBA-Geschichtsbücher befördert. Er hat den Titel auf seine Art geholt, was keineswegs heißen muss, dass es die richtige ist (auch wenn es sich so anfühlt), aber die ehrlichste und schwerste. Dieser eine Titel mit Dallas wiegt für mich so schwer wie drei potentielle Heat-Meisterschaften, weil er mit einem System geholt wurde, das sich selbst eigentlich überlebt hat: Keine Meisterschaft ohne zwei, wenn nicht sogar drei Stars – das war die Regel der letzten Jahre. Ebenso hat er mit dem Titel eine Evolution der Big Men abgeschlossen – es ist das erste Mal, dass ein Big, der vor allem vom Sprungwurf lebt und nicht von Aktionen direkt am Korb, den Titel als Franchise-Spieler holt. Auch wenn es wohl nicht mehr so schnell jemanden geben wird, der Nowitzki an sich ähnelt – er hat die Tür aufgestoßen für diejenigen, denen bislang immer vorgeworfen wurde, dass sie sich nicht nah genug am Korb aufhielten, dass sie nicht das täten, was ein Big Man tun müsste, dass sie weich sind.
Was aber ein riesiger und hoffentlich nachhaltiger Verdienst ist, ist die Medienpräsenz, die Basketball in den letzten Tagen und Wochen in Deutschland genossen hat. Auch wenn viel glorifiziert wird, auch wenn damit eine differenzierte Bewertung seiner Finals-Serie kaum möglich ist – was ihn für mich wirklich besonders macht, ist zum Beispiel der gestrige Abend im Belushi’s. Dass er Leute zum Basketball gebracht hat, die sich vor ein paar Wochen noch nie dafür interessierten, die um halb fünf morgens ebenso in Ekstase sind wie eingefleischte Fans. Es war wie ein Traum für jeden, der sich in Deutschland für die NBA interessiert und sonst schief angesehen wird, weil er sich Nächte um die Ohren schlägt. Selbst als Nicht-Mavs-Fan kann ich dafür einfach nur dankbar sein – genauso wie beiden Teams für die besten Finals, die ich live verfolgen konnte. Und während ich hier gerade sitze, zwölf Stunden nach Spielende, kann ich es immer noch hören, erst leise, dann immer lauter:
„Dirk, Dirk, Dirk!“
Malte Arndt