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John Stockton im Porträt: Kurze Hosen und Pick and Roll

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Langweiliger Spielstil. Altmodische Shorts. Die gleiche Frisur seit Jahrzehnten. Stockalone. Wer genau aber war dieser Mann, der überhaupt nicht in das Bild der Liga passte?

Wir schreiben das Jahr 1984. Es ist Frühling und an diesem Freitagabend wird überall in Spokane, Washington gefeiert. Das Semester ist zu Ende und die Absolventen zelebrieren das Ende des Schuljahres. Während alle anderen Studenten am Feiern sind, ist John Stockton auf dem Weg in die Sporthalle. Als ihn ein Kommilitone darauf anspricht, weshalb er nicht mit den anderen am Feiern sei, entgegnet Stockton: „Ich habe nur eine Chance. Eine Chance es möglicherweise zu schaffen.“ Dabei hat John diesen entschlossenen Ausdruck in den Augen. Den selben Ausdruck, den er immer innehatte: das Verlangen zu gewinnen und die Angst, er könne eine einmalige Chance nicht genutzt haben.

Für John Stockton endet eine Saison niemals wirklich. Sie wird nur unterbrochen. Er sieht seine Chance in der NBA spielen zu können und würde alles dafür geben, um den Sprung in die Liga der Besten zu schaffen.
Die Rehabilitationsphase nach einer Knieoperation war charakteristisch für John Stockton. Keine Pressekonferenz, keine Reports über seinen Zustand - nur Stillschweigen.

Auf der einen Seite steht das Spiel und auf der anderen persönliche Angelegenheiten. Wenn es nach Stockton geht, so sollten diese beiden Dinge immer getrennt werden und niemals zusammenkommen.

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Kameras, Reporter, Autogrammjäger und Fans schreckten ihn immer wieder ab. Das hat sich auch über seine Jahre in der NBA hinweg nie geändert. Stockton konzentrierte sich allein auf sein Spiel und ging dem Medienrummel so gut es ging aus dem Weg. „Er ist das fokussierteste menschliche Wesen, das ich kenne“, sagt auch sein Bruder Steve. „Ich meine das als Kompliment. Er macht das, was er liebt und wird dafür gut bezahlt [...] Er würde seine Freitag- und Samstagabende dafür opfern, um in der Halle einen Ball nach dem anderen zu werfen.“

Von einem rein klinisch betrachteten Standpunkt aus ist John Stockton ein medizinisches Phänomen: sein Herzschlag im Ruhezustand ist mit 35 Schlägen pro Minute nur etwa halb so schnell wie der eines gewöhnlichen Sportlers. Während andere Spieler gezwungen sind Auszeiten zu nehmen oder sich auf der Bank auszuruhen, genügt Stockton die kurze Zeit, die er an der Freiwurflinie steht, um wieder zu Atem zu kommen.

Sein Körperfett beträgt 4 %. Das ist der gleiche Wert, den ein Karl Malone und viele der besten Radrennfahrer haben. Stocktons Lungenkapazität und sein Blutdruck sind für eine Durchschnittsperson beinahe unerreichbar und sogar für einige Athleten ausgesprochen gut. „Er schwitzt nicht [und] sein Körper ist sehr effizient“, weiß auch einer seiner früheren Teammitglieder.
Dr. Lyle Mason, die Stocktons Knie wieder in Ordnung brachte, bestätigt dies: „Er würde den ganzen Tag spielen. Er will 48 Minuten durchspielen und ohne Zweifel wäre er dazu auch im Stande.“

Da ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der Point Guard der Utah Jazz in seiner 13-jährigen Karriere nur vier Spiele verpasste. In der Offseason arbeitete John im Juli zwei Stunden täglich an seinem Spiel und im August machte er bereits fünfstündige Workouts. Er stemmte Gewichte, rannte und spielte Pickup Games. „Wenn er um sechs Uhr morgens in der Halle sein muss, dann ist er es. Wenn er bis zwei Uhr morgens beim Therapeuten sein muss, um am nächsten Spiel teilnehmen zu können, dann macht er das“, charakterisiert ihn ein früherer Teamkollege.


Die Arbeitseinstellung und die Faszination für den Sport liegen bei John Stockton in der Familie. Sein Großvater, Houston Stockton, war einer der besten Football-Spieler in der Geschichte der Universität von Gonzaga. Seine Mutter Clementine war eine Dreikämpferin in Ferdinand, Idaho. Eine von Johns drei Geschwistern, LeAnn, ist Coach der Kentucky Wesleyan und der Utah Starzz. Und keiner in der Familie Stockton würde das Verlieren tolerieren.

„Es war nie anders“, berichtet Johns Vater, „er war bei jedem Spiel aufmerksam dabei. Ich glaube nicht, dass Basketball jemals ein Spaß für John war. Ich habe den Jungs früher immer zugesehen, wenn sie in der Hofeinfahrt gespielt haben. Sein Bruder und seine Freunde haben immer herumgealbert. John nicht. Für ihn war es schon immer Business.“

Im Sommer vor Johns Freshman-Jahr an der Universiät von Gonzaga war er jeden Abend beim Assistenzcoach Joe Hillock, um ihn um die Schlüssel zur Sporthalle zu bitten. „Ich habe dem Sicherheitspersonal immer gesagt, dass ich ihm die Schlüssel gebe. Hätte ich es nicht getan, wäre er auf anderem Wege in die Halle gekommen“, sagt Hillock heute.

Es war ein Leben, das Stockton nicht nur zu einem konkurrenzlosen Spieler machte, sondern auch seine Lebenseinstellung prägte: hart arbeiten, Loyalität zu denen, die er liebt und entschlossenes Handeln. Es überrascht nicht weiter, dass sich John in der Stadt am wohlsten fühlt, in der er seine Kindheitstage verbracht hat. Deshalb kaufte er sich das Nachbarhaus zu seinen Eltern und verbrachte die meiste Zeit des Sommers dort bei seinen Freunden und seiner Familie.

Während eines Trainingscamps fragte ihn ein Zeitungsredakteur, ob er glücklich wäre, wenn er mit Olajuwon, Barkley, Jordan und Ewing in einer leeren Halle ohne Kameras und Fans spielen dürfte. „Das würde mich sehr glücklich machen“, entgegnete John. Seine Abneigung gegenüber Goldkettchen, Nachtklubs und Fernsehauftritten erklärt sich von selbst.

In Stocktons Zimmer waren niemals Fotos von Sportlern. Er bekannte sich nie zu Spielern wie Walt Frazier oder Jerry West. Der einzige Spieler, den er in der Familie einmal erwähnte war der ehemalige Spieler der Seattle Sonics Gus Williams, welcher ihn bei einem Freundschaftsspiel, bei dem John Balljunge war, aus Spaß herausforderte.

Stockton war bekannt dafür sich durch die Hintertüren der Hallen heraus zu schleichen und schnell in den Teambus einzusteigen, um Autogrammjägern und Fans aus dem Weg zu gehen. Sein schlimmstes Erlebnis war nach eigener Aussage eine Situation bei der ihn ein weiblicher Fan vom Flughafen bis vor das Hotelzimmer verfolgte und bedrängte. „Ich wollte mich einfach in Luft auflösen“, so Stockton.

Und obgleich er eine sehr strenge Arbeitsmoral hegte, war John weit davon entfernt ein humorloser Zeitgenosse zu sein. Jeder, der näher mit John zu tun hatte, weiß, wie es ist, wenn man aufgrund seines Haarschnitts, seines Akzentes oder seiner Herkunftsstadt belächelt wird.

Während seiner Karriere betonte John Stockton immer wieder, wie wichtig ihm Mitspieler und Coaches waren und noch immer sind.

Stockton war zehn Mal Allstar, gewann mit dem Team USA zwei Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen, erzielte insgesamt 19.711 Punkte (28. Platz), verteilte 15.806 Assists (1.) und sammelte 3265 Steals (1.). Er stand zweimal im NBA-Finale, verlor aber jeweils gegen die Chicago Bulls. Dieser Superstar ohne Titel war einer der letzten Vertreter einer vergangenen Generation von NBA-Spielern und wird uns mit seinem unaufhörlichen Siegeswillen und seinen konstanten Leistungen über Jahre hinweg in Erinnerung bleiben.

Manuel Kaess

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