Teamcheck Niederlande – Zwischen Ästhetik und Realismus
- Redaktion
Über Jahrzehnte waren die Niederlande ein Inbegriff für spektakulären Offensivfußball. Deutschland stand seit 1954 und dem „Wunder von Bern“ für die Qualität, auch schlechte Spiele zu gewinnen. Seit Bert van Marwijk Bondscoach ist und Jogi Löw die Deutschen betreut, hat sich allerdings eine Art Rollentausch vollzogen.
Spielphilosophie
Zwar verfügen die Niederländer immer noch über zahlreiche Offensivkönner der Extraklasse (u.a. Wesley Sneijder, Robin van Persie, Arjen Robben, Klaas Jan Huntelaar), allerdings stellen sie mit Mark van Bommel und Nigel de Jong auch die humorloseste Doppelsechs des Kontinents, deren Aufgaben sich fast ausschließlich auf das Zerstören des gegnerischen Spiels beschränken.
Dass die beiden aufräumen, ist allerdings auch bitter nötig. Denn traditionell haben die Niederlande in der Defensive ihre Schwächen. Seit dem Karriereende von Frank de Boer (2000) bzw. Jaap Stam (2004) wartet man vergeblich auf einen Innenverteidiger von Weltformat. Auch Keeper Maarten Stekelenburg zählt nicht zu den besten 5,6 seiner Zunft. Auf der Linksverteidigerposition muss mit dem erst 18-jährigen Jetro Willems ein unerfahrener Mann ran, weil die wenigen Alternativen verletzt passen müssen.
Da Bondscoach van Marwijk aber deutlich kompakter spielen lässt als alle seine Vorgänger – was ihm in der Heimat jede Menge Kritik der Altvorderen um Johan Cruyff einbrachte –, konnte die Mannschaft diese Abwehrschwäche in den meisten Spielen auffangen. Nicht von ungefähr wäre sie 2010 um ein Haar Weltmeister geworden. Im ersten Spiel gegen die Dänen (0:1) war davon aber wenig zu sehen. Die Niederländer waren in der Defensive passiv und waren phasenweise sorglos. Wenn sie gegen die Deutschen ebenfalls so agieren sollten, dürfte sich für die Löw-Elf die eine oder andere Torchance bieten.
Der Star
Zentrale Figur für die Offensive ist Wesley Sneijder (28). Der Star von Inter Mailand ist der erste Anlaufpunkt im Spielaufbau. Er verteilt die Bälle auf die Flügel, die normalerweise von Arjen Robben und Dirk Kuijt bzw. Ibrahim Affelay besetzt werden bzw. bringt Mittelstürmer Robin van Persie ins Spiel. In den letzten Jahren ist er auch selbst immer torgefährlicher worden, bei der WM 2010 etwa erzielte er genauso viele Treffer wie Torschützenkönig Thomas Müller (nämlich fünf), musste diesem aber aufgrund der geringeren Zahl der Torvorbereitungen die „Kanone“ überlassen.
Die Form
Gegen die Dänen lange die bessere Mannschaft mit den besseren Chancen, spielten die Niederländer offensiv nicht zielgerichtet genug. Die Passivität in der Defensive wurde ausgenutzt. In dieser Form sind die Niederländer kein Titelanwärter.
Fazit
Vor dem Spiel gegen Deutschland steht "Oranje" mit dem Rücken zur Wand. Ein Remis gegen die Löw-Elf könnte zu wenig sein, daher muss der Vize-Weltmeister am Mittwoch etwas riskieren. Sofern Deutschland kein frühes Gegentor kassiert, sollten Özil & Co. mehr Raum erhalten als gegen die tief stehenden und diszipliniert agierenden Portugiesen. Das macht Deutschland zum Favoriten in diesem Spiel.
Der EM-Kader der Niederlande
Tor: Maarten Stekelenburg (AS Rom), Michel Vorm (Swansea), Tim Crul (Newcastle)
Abwehr: Khalid Boulahrouz (Stuttgart), Wilfried Bouma (Eindhoven), Johnny Heitinga (Everton), Joris Mathijsen (Malaga), Gregory van der Wiel (Ajax), Ron Vlaar (Feyenoord), Jetro Willems (Ajax)
Mittelfeld: Ibrahim Affelay (FC Barcelona), Nigel de Jong (Manchester City), Stijn Schaars (Sporting Lissabon), Wesley Sneijder (Inter Mailand), Kevin Strootman (Eindhoven), Mark van Bommel (AC Mailand), Rafael van der Vaart (Tottenham)
Angriff: Luuk de Jong (Twente Enschede), Klaas Jan Huntelaar (Schalke 04), Dirk Kuijt (FC Liverpool), Luciano Narsingh (Heerenveen), Arjen Robben (Bayern München), Robin van Persie (FC Arsenal)