Faszien und Faszienrolle - Interview mit Dr. Robert Schleip
- Nils Borgstedt
Dr. Robert Schleip beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Faszien und Bindegewebe. Als Direktor der Fascia Research Group, Division of Neurophysiology der Universität Ulm ist er einer der führenden Köpfe im Bereich der Faszienforschung. Auf der ISPO in München trafen wir ihn am Stand von Blackroll und haben ihn zu Faszienrollen und deren Einsatzmöglichkeiten befragt.
netzathleten.de: Herr Dr. Schleip, Faszien sind seit ein paar Jahren das Trendthema in der Gesundheits- und Trainingsbranche. Unmittelbar daran gekoppelt sind Faszienrollen als Trainingsgerät. Inwieweit können diese Rollen denn helfen, Mobilität und Entspannung zu generieren?
Dr. Robert Schleip: Die Faszienrollen scheinen beim Kunden sehr gut anzukommen, da er selbst dosieren kann. Zudem gibt es nun erste Studienergebnisse, dass der Einsatz der Rollen nicht nur den Stoffwechsel anregt, sondern auch sportliche Leistung fördern kann. Außerdem sind sie eine wunderbare Ergänzung zu Dehnübungen und können diese teilweise sogar ersetzen. Dass fünf Minuten rollen und fünf Minuten dehnen einen ähnlichen Effekt haben, wurde zumindest für die Oberschenkelrückseite gezeigt. Das erklärt, warum das jetzt so ungemein populär ist. Auch, wenn man natürlich einschränkend fragen muss, für wen das überhaupt sinnvoll ist. Sicherlich ist es nicht für jeden geeignet, Beweglichkeit zu fördern.
netzathleten.de: Man sollte sich also nicht einfach nur eine Roll kaufen und loslegen, sondern vorher beraten lassen und auch die Übungen zeigen lassen?
Dr. Robert Schleip: Das geht beides. Man kann ja Skifahren auch ohne Lehrer lernen. Ich kann auch einen Fußball nehmen und erstmal selbst Erfahrungen machen. Die Frage, die sich stellt, ist: Ab wann sollte ich, um nicht tunnelartige Verengungen zu entwickeln, mich auch von einem Trainer inspirieren lassen? Man kann ruhig erstmal mit Spaß loslegen, da unterscheidet sich die Blackroll nicht von anderen Sportarten. Wenn man erstmal eigene Erfahrungen gemacht hat und einem dann jemand etwas zeigt, dann hört man ganz anders zu und stellt auch ganz andere Fragen. Das Risiko, sich mit einem Ball zu verletzen, liegt zwar nicht bei null, ist aber relativ gering. Und genauso ist es auch bei der Rolle. Man kann sie eigentlich relativ gefahrlos verwenden, wenn man sich nach seinem eigenen Schmerzempfinden richtet.
netzathleten.de: Das Verletzungsrisiko ist zwar gering, aber nicht gleich null, haben Sie gesagt. Wo könnten Probleme auftreten?
Dr. Robert Schleip: Ich kenne dieses Prinzip, auf das Bindegewebe zu gehen, vom Rolfing. Das ist schon 25 Jahre her und damals haben wir bei einem von etwa 50 Leuten blaue Flecken ausgelöst. Man kann also durch einen rollenähnlichen Druck mit etwa 20 Kilogramm pro 10 Quadratzentimetern Blutergüsse und auch Besenreißer auslösen. Die Frage ist, wie häufig macht das jemand mit solcher Intensität, der den Druck selbst regulieren kann? Und die bisherige Erfahrung zeigt, dass das sehr, sehr selten ist. Solche Fälle liegen bei 15 Minuten rollen bei weniger als eins zu hunderttausend.
netzathleten.de: Spielt es eine Rolle, in welche Richtung man rollt?
Dr. Robert Schleip: Das kommt immer darauf an, wie man die Rolle einsetzt und was man erreichen möchte. Ich glaube aber nicht, dass man eine plastilinartige Bindegewebsmasse von vorne nach hinten verschieben kann. Es gibt amerikanische Kollegen, die sagen, dass man aus der Körperdiagnostik vorab genau bestimmen muss, ob beispielsweise der äußere Oberschenkel mehr nach vorne oder mehr nach hinten gerollt werden soll, dass also die Richtung ganz wichtig ist. Aus meiner Grundlagenforschung weiß ich, dass solche Verschiebungen immer nur vorübergehende Stimulationen sind. Wenn ich etwa die Plantarfaszie von hinten nach vorne Rolle, dann gehen die einzelnen kollagenen Elemente binnen weniger Minuten genau an die Stelle zurück, an der sie vorher waren. Das heißt, man hat nichts von A nach B verschoben, was bedeutet, dass die Richtung gar nicht so wichtig ist.
Die Richtung könnte dann wichtig sein, wenn man entzündliche Botenstoffe in einem Bindegewebe hat und den Lymphfluss unterstützen möchte. Dann könnte es sinnvoller sein, in Richtung des Lymphflusses zu rollen. Aber 90 Prozent des Wassers, das wir beim Rollen schwammartig auspressen, geht nicht entsprechend der Lymphrichtung, sondern entsprechend der Venen; also in alle Richtungen. Diesen Schwammeffekt halte ich übrigens für einen der wichtigsten Effekte. Daher empfehlen wir eine multidirektionale Ausrichtung beim Rollen. Die andere Frage, die man sich stellen muss: Welche Gegenden sollen gerollt werden. Da würde ich anfangs rein intuitiv vorgehen und mir dann aber zeigen lassen, was man denn noch mit der Rolle machen kann. Und Leute, die sich jahrelang damit beschäftigen, können einem innerhalb von Minuten Anregungen geben, auf die man dann sagt: ‚Toll, das fühlt sich nochmal ganz anders an. Da habe ich jetzt wieder genug zu tun.‘
netzathleten.de: Wie oft empfehlen Sie die Anwendung der Rolle?
Dr. Robert Schleip: Es scheinen wenige Minuten am Tag zu reichen. Es gibt jetzt neue Forschungen, denen zufolge die Zellen nach fünf Minuten abschalten. Ähnlich wie bei Kindern, auf die die Eltern länger als fünf Minuten einreden. Da kommt dann auch nichts mehr an und man muss eine Pause machen. So scheint das auch bei den Fibroplasten zu sein. Man rollt also an einer Region fünf Minuten und danach bringt es nichts mehr. Dann kann ich eine andere Region bearbeiten. Es kommt auch immer darauf an, was ich erreichen möchte. Will ich altes kollagenes Gewebe abbauen, empfehlen wir tägliches Rollen. Will ich aber Kollagen festigen, würde ich nur alle zwei Tage rollen, denn am zweiten Tag ist die Müllabfuhr schon wieder relativ erlahmt, der Kollagenaufbau aber steht im Mittelpunkt.
netzathleten.de: Und welche direkten Auswirkungen hat die Faszienrolle dann auf das Gewebe?
Dr. Robert Schleip: Es wird direkt die Durchblutung angeregt. Zudem werden Botenstoffe ausgesendet – zwei davon kenne ich konkret: Das ist einmal Stickoxid, ein durchblutungsfördernder und weichmachender Botenstoff. Den will man gerne haben. Der andere ist das Enzym MMP1. Dessen Ausschüttung erreicht man vermutlich nur mit ganz langsamem Rollen. Das wurde allerdings nur in Zellkulturen gezeigt. Daher muss man hier auch vorsichtig sein, wenn man diese Erkenntnisse auf den Körper überträgt. Aber momentan ist das das beste Wissen, das wir haben. Zeitlupenartige Rollbewegungen können nun also eine Ausschüttung des Enzyms in den „gerollten“ Zellen hervorrufen – was diese vier bis acht Stunden nach dem Rollen dazu veranlasst, altes, überflüssiges und sprödes kollagenes Gewebe abzubauen. Und das ist spannend. Daher nochmal zusammengefasst: Will ich das Bindegewebe weicher machen, lösen, dann tägliches Rollen. Aber ganz, ganz langsam. Will ich das Bindegewebe straffen und kräftigen, dann nur alle zwei Tage mit eher herzhaften Rollbewegungen.
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